LITERATUR FÜR DIE OHREN

Nur die Stimme zählt

Neue Hörbücher mit sehr alten Texten

Ganz langsam wird das Medium normal - und vor allem billiger. Und ganz langsam bildet sich eine Art Retro-Avantgarde um die Vorlese-Konserve. Mit DVD und MP3 ist in Sachen Literatur erstmal noch nicht groß zu rechnen (Surfer sind anscheinend symptomatisch illiterat); das wiederbespielbare Elektro-Buch ist noch nicht mal auf dem Markt; ja im Grunde ist sogar die CD schon zu modern für die Verbreitungsform, die sich etwas ungelenk und unnötig abgeleitet "HörBuch" oder "AudioBook" nennt. Falls der Player nicht per Software jene Lesezeichen-Funktion nachbilden kann, die der MC eigen ist - den Recorder ausmachen, später an der gleichen Stelle fortfahren.
Alle Medientheorie beiseite: die Stimmen zählen, das Sprechen an sich, sogar die Sprache ist weniger wichtig. Das beweist etwa Seven Ages. Diese Anthologie englisch-sprachiger Dichtung (Shakespeare, Keats, Eliot, Stevenson, Shelley, Yeats, Larence, Silverstein., Milne ... and many more) beeindruckt zunächst durch ihre Sprecher. Bekannte Film-Namen (Michael Caine, John Cleese, Judi Dench, Ralph Fiennes, Ian McKellan ...) und weniger geläufige (insgesamt 40) zelebrieren Gedichte und Prosastücke (insgesamt 126) einfach perfekt. Und ohne Rücksicht auf Genregrenzen oder Geschmacksschubladen. Hohe Klassik und Kinderbuch, Spottvers und Erotik ... sortiert nach "7 Lebensaltern", wie sie Shakespeare als Rythmus des Menschen vorschlug. Mit etwas Zwischenmusik. Ein Genuss, selbst wenn das eigene Schulenglisch nicht für jedes Wort ausreicht.
Weil nicht mal Deutsch für jedes Original-Wort hinreicht, gelten Harry Rowohlts Übersetzungen längst als Nachdichtungen eigenen Rechts. Erst recht selbst vorgelesen. Killoyle etwa, eine südostirische Farce von Robert Boylan. Die erschien parallel zum Lesen und zum Hören, und auf dem 4 CD-Pack steht, sozusagen im Brustton der Übersetzer-Überzeugung, die Handlung sei eh wurscht. "Wenn Sie Handlung wollen, gehen Sie zum Catchen", wenn Sie Vergnügen wollen, hören Sie Harry. Der geht mit Worten um wie mit Whisky, sowohl maßlos als auch auf feinste Nuancen achtend.
Nochmal Irland - aber keiner kommt hin. In Irland an Försters Küchentisch erzählt Michael Klaus, eine Art Kafffehausliterat der Trinkhallen, unter anderem wie eine Handvoll Versager sich zusäuft, weil immer einer fehlt, um endlich zusammen in Urlaub nach Irland zu fahren. Schlimme Schicksale glucksen vorbei, verlorene Socken, verschimmelte Kofferradios, Sterbehilfe an aidskranken Freunden ... authentisch, albern, anrührend. Leider trötet Theo Jörgensmanns Klarinette prätentiös improvisierend jede Atempause zu. Michael Klaus und sein HörBuch-Verleger Günther Butkus lieben das "Literatur und Jazz"-Konzept, wir aber hassen den Kunstvorbehalt daran.
Dann müssten wir eigentlich Gert Fröbe mögen. Wie der Christian Morgenstern sprach, nein spielte - das war erstmal Tingeltangel in Vollendung, bevor es übers Absurde dann doch ein bißchen ins Ewige kippte. Seit den "Bunten Abenden" der Nachkriegszeit. Schön, dass Morgenstern am Abend einen Hauch davon widergibt. Schade aber, dass man nichts dabei sieht. Dem Ohr allein erscheinen Fröbes Morgensterniaden heute doch arg outriert. Ein Plädoyer für's VideoBook.
WING
Anthologie: Seven Ages 2 MC/CD, 151 Min., Naxos Münster ISBN: 9626346892
Roger Boylan / Harry Rowohlt: Killoyle 4 CDs, 295 Min., Kein & Aber Zürich ISBN: 3906547132
Gert Fröbe: Morgenstern am Abend 1 CD, 40 Min., Kein & Aber Zürich ISBN: 3906547310