MONOLOGE

Poesie am letzten Ort

Ungelenke Gedanken eines Monsters

Sterzik ist ein Idiot. Ein fetter, häßlicher, stinkender Idiot. In der Großküche muß er die Spülmaschinen einräumen, die Bleche putzen, den Boden fegen und die Abendbrotkärtchen abholen. Klaus Sterzik ist ein stummer 30jähriger Idiot. Er redet fast nie. Tagsüber freut er sich darauf, abends vor dem Computer sitzen zu können und endlich den 5. Level zu schaffen. Er freut sich, wenn die Hauswirtschaftsleiterin einen kurzen Rock trägt, und er freut sich, wenn er mal nicht angeschrieen wird. Sterzik beobachtet seine Kollegen, wie sie sich Horoskope aus der "Zeitung mit den großen Buchstaben" vorlesen, von Zuhause erzählen, langsam ihre Träume verlieren. Sterzik kapiert nie etwas, er fühlt nur. Wenn er nichts fühlt, ist da auch nichts. Am meisten fühlt er am Computer, wenn er Monster schlachtet, und vorm Fernseher, wo nackte Frauen ganz allein für ihn tanzen.
Diesem kindischen Monster eine innere Stimme gegeben zu haben, ist die große Leistung in dem Kurz-Roman Sterzik von Martin Beyer. Die ersten 30 Seiten sind ein kunstvoll gebauter Monolog eines Debilen, die Gedanken des Klaus Sterzig, voller Wiederholungen, Redewendungen, verwirrender Sprünge. Auf diesen 30 Seiten erschließt sich das Elend von einem, der in seinem Ausweis stehen hat, er sei irgendwie zu 60 Prozent behindert, und der eher phlegmatisch versucht, der Welt eine Struktur abzugewinnen: "Die Sonnenstrahlen wärmen zum ersten Mal in diesem Jahr so richtig, und tauchen alles in ein eigenartiges Licht. Sagt Walle. Poesie am letzten Ort. Er verkauft so dies und das, um sich über Wasser halten zu können. Sich über Wasser zu halten heißt, etwas schlucken zu können. Er schluckt und schluckt und schluckt."
Was auf diese 30 Seiten folgt, ist enttäuschend. Beyer gibt seinem Monster eine Biografie, eine Entwicklung. Er spielt mit den Formen, den Erzählebenen und montiert ein bißchen halbexpresionistische Lyrik in den Text. Das taugt nichts. Es macht die mächtige Figur, die einem im ersten Drittel des Buches entgegentritt, unnötig schwach, erklärbar. Aber wenn man das Buch auf Seite 38 einfach zuklappt, hat man etwas gelesen, das man so schnell nicht vergessen wird: "Sterzik, warum bist du so ruhig, warum sagst du nie einen Satz? - Was soll ein Sterzik sagen, was soll ein Sterzik fragen? Ich spüre nichts, wenn ich etwas frage, sage. Ich will nichts wissen, ich will in den nächsten Level ( ...) und was will ich denn, ich weiß es nicht, ich weiß nichts, zucke mit den Schultern, ich sage wieder nichts, frage wieder nichts, man wendet sich ab."
Thomas Friedrich
Martin Beyer: Sterzik Eskapis, Hamburg 2001, 143 S., 16,90 DM