REISEN Fein gemacht 1947 reisten John Steinbeck und der mit ihm befreundete »Magnum«-Fotograf Robert Capa in die UdSSR Steinbeck und Capa wollten nichts über das politische System schreiben, dafür viel über die Lebensumstände der Sowjetbürger. Erst vor Ort realisierten sie, dass die UdSSR ein verflixt großes Land ist und dass Russen, Ukrainer und Georgier recht unterschiedliche Mentalitäten besitzen, eine jeweils eigene Geschichte haben und ganz eigene Landschaften bewohnen. Vor allem Georgien hat es Steinbeck und Capa angetan, und so saufen sie sich durch die Partys und Festveranstaltungen, die ihnen zu Ehren gegeben werden, und stehen jeden Morgen später auf, weil sie ganz grauenvoll verkatert sind. Neben all dem Spaß und der Lebenslust sieht Steinbeck vor allem die Zerstörungen, die die Deutschen hinterlassen haben. Sein Kapitel über Stalingrad und die darin hausenden Überlebenden sind geradezu herzzerreißend. Steinbeck sieht immer wieder Kolonnen von deutschen Kriegsgefangenen, die, meist nur von einem einzigen Soldaten bewacht, zum Wiederaufbau eingesetzt werden. Die abgerissenen Männer in ihren alten Uniformen werden von den Bewohnern keines Blickes gewürdigt. Soll das Kulturvolk den Schaden wenigstens ansatzweise wieder gutmachen, den es angerichtet hat, schreibt Steinbeck. Der Humor Steinbecks steht seinem ernsthaften Interesse an Sitten und Gebräuchen niemals im Wege. Auf den Vorwurf hin, man habe für ihn und Capa sicherlich nur eine Schau abgezogen, schreibt er: "(Die Menschen) zogen die gleiche Schau ab, die ein Farmer aus Kansas für einen Gast abziehen würde. Sie verhalten sich wie unsere Leute, von denen die Europäer dann sagen: 'Diese Amerikaner ernähren sich ja ausschließlich von Huhn.'" Und dann beschreibt er drei Seiten lang, wie die Bauern sich fein machten und den besten Wodka auftrugen und Sekt und "einige Männer kamen in die gute Stube, und sie waren adrett gekleidet und gesäubert und gewaschen, sie hatten sich rasiert, und sie trugen ihre Stiefel. Auf den Feldern trugen sie keine Stiefel." Die Russische Reise mit Fotografien von Robert Capa ist nie in Deutschland erschienen, die Steinbeck Gesamtausgabe ließ sie schlicht aus. Jetzt ist sie endlich auch hier zu haben, gut übersetzt von Suzanne Urban und mit verblassten Fotografien Capas versehen, auf denen man gerne mehr erkennen würde. Das Buch ist sehr amüsant zu lesen, sein Tonfall erinnert an den frühen Steinbeck mit dieser einmaligen Mischung aus Komik, Weisheit und Melancholie. Thomas Friedrich
John Steinbeck: Russische Reise. Mit Fotografien von Robert Capa. Weltlese in der Edition Büchergilde, Deutsch von Suszanne Urban. Frankfurt 2010, 298 S., 19,90
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