STATISTIK
63,2 Prozent Walter Krämer rettet die Welt vor den Wundern der Statistik Wie häufig muß einer eigentlich ein Buch über statitistische Trugschlüsse schreiben, bis keiner mehr die 13 im Lotto tippt, an wahre Todesträume glaubt oder im Umkreis von AKWs an Leukämie stirbt? Walter Krämer jedenfalls, Wirtschafts- und Sozialstatistik-Professor an der Universität Dortmund, bringt nahezu jedes Jahr eines für Halb-Laien wie uns heraus. Und muß am Anfang seines fünften (Denkste! Trugschlüsse aus der Welt des Zufalls und der Zahlen) immer noch erklären, wieso die Antwort auf die Frage aller Fragen näherungsweise 63,2 ist. Soviel Prozent nämlich beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß bei einer Krabbelsack-Party einer der geschenkspendenen Gäste seinen eigenen Blumentopf blind zurückgewinnt. Womit ein wirkliches Wunder zur Norm erklärt wird: während des Golf-Kriegs schrieben amerikanische Schulkinder im Salventakt aufmunternde Feldpost "an irgendeinen Soldaten" - und der 27jährige Rory Lomas aus Savannah, Georgia kriegte den Brief seiner eigenen 10jährigen Tochter Cetericka zugelost. So stand es verwundert in der Zeitung, aber Krämer rechnet uns schnell vor (auf 2 Seiten, knapper geht's nun mal nicht), daß in Gruppen schon über 6 Mitgliedern die allgemeine Selbst-Trefferwahrscheinlichkeit eben zu 63,2 konvergiert. Weil, erster Lehrsatz, die äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, daß ein Ereignis einer bestimmten Person zustößt, in der Regel bedeutet, daß es irgendeine Person nahezu sicher trifft. Wie ein Lottogewinn. Nächste Lektion: das Gesetz der großen Zahl. Das bedeutet im Volksmund, daß von 60 Würfel-Würfen so um 10 mit 6 ausgehen - mithin die Chance auf eine 1 beim 59sten Wurf und schon 13 6en erheblich sei. Blödsinn, natürlich, weil zwar 1/6 aller Würfel-Würfe statistisch eine 6 ist, aber 13/59 also 0,22 gut als Näherung für 1/6 (also 0,17) durchgeht. Und desto besser, je höher die Zahlen. Die absoluten 6en (hier 13) können dabei aber beliebig heftig von der relativen Mittel-Zahl (hier 10) abweichen. Womit jedes Lotto- und /oder Roulette-System zum xten Mal gekillt wäre. So geht das weiter, mit meist relativ irrelevanten Trugschluß-Entlarvungen (wer System-Lotto spielt, liest eh keine Bücher) oder Eingeweihten (also Ultimo-Lesern) längst bekannten pseudo-paradoxen Aha-Effekten (ich sage nur: Ziegen-Problem) und nur gelegentlichen Nutzanwendungen. Etwa über die Irrtumswahrscheinlichekit des genetischen Fingerabdrucks - und die statistische Analyse des Richterdilemmas: Soll ich evtl. einen Unschuldigen verknacken? (Krämer: ja, zähneknirschend) Oder einen Schuldigen freilassen? (Krämer: ja, zähneknirschend) Und wie hängen die Risiken zusammen (Krämer: reziprok, unausweichlich). Oder über die Risikostudien zu Atomanalagen. Daß in deren Umfeld "signifikant" höhere Krankheitsbilder auftreten, findet Krämer bloß einen Meta-Effekt. Weil eben Studien, in denen nichts Signifikantes passiert, nicht mitgezählt würden. Das ist bedenkenswert. Auch daß, wie Krämer mitteilt, in der deutschen Ausgabe der amerikanischen Statistik-Kritik, aus der Krämer sein Atombeispiel hat (A.K. Dewdeneys "200% of nothing"), ausgerechnet das Kapitel über derlei "numerischen Terrorismus" fehlt. Brisant, brisant, fälscht da die edle AKW-nee-Seele mit den schlechten Mitteln der Restrisko-Mafia? Kann der gute Wille nichtmal eine fachidiotische Kritk an seinen weniger guten Zahlen ertragen? Denn natürlich irren Krämer etc. hier so heftig wie wir sonst überall: im Vergleich zu den nicht-untersuchten Fällen weltweit sind die Stichproben-Studien zu AKW-induzierten Krankheiten sicher allesamt so winzig, daß jedes Ergebnis als Zufallsrauschen erschlagen werden kann. Nur sind im Vergleich zu allen nichtuntersuchten Fällen weltweit alle Ergebnisse aller beliebigen Studien vernachlässigbar zufällig. Zwar ist bisher noch jede nachgemessene Straße nach jedem Regen naß gewesen, aber in weit mehr Regenfällen war grad kein Forscher vor dem Haus; und zwar sind alle fünf populären Bücher eines Professors eine relativ kleine Stichprobe für alle, die er wohl noch schreiben wird, aber daß sie alle neben ihren wichtigen Warnungen ein paar schnelle "Gewissheiten" vom Typ "nichts ist bewiesen" enthalten ohne ernsthaft, und ohne Rechenschieber, über die Frage nachgedacht zu haben, was denn "Gewissheit" eigentlich sein könne ... also das macht ihn nur zu einem 63,2 Prozent-Krämer. WING
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Walter Krämer: Denkste! Trugschlüsse aus der Welt des Zufalls und der Zahlen Campus, Frankfurt 1995, 188 S. |