BOSNIEN-KRIEG
Politik und Moral Das Massaker von Screbrenica untersuchen Jan Willem Honig und Norbert Both Eine der jüngsten Geschichtslegenden geht so: Als die NATO sich endlich zu gezielten und dauerhaften Luftangriffen entschloss und die Amerikaner einen ihrer härstesten Unterhändler ins Spiel brachten, waren die bosnischen Serben bereit, das sogenannten Abkommen von Dayton zu unterschreiben, daß einen - bis heute - brüchigen Frieden in Bosnien-Herzegowina garantiert. Das klingt, als würden Konflikte nach wie vor auf der Mainstreet eines Westernstädtchens ausgetragen und beendet. Jan Willem Honig, Dozent am Londoner "Department of War Studies", und Nobert Both, Assistent des Jugoslawien-Vermittlers David Owen, haben die Tragödie von Screbrenica in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen gestellt, wie dieser Krieg beendet wurde (der Untertitel der deutschen Ausgabe "Der größte Massenmord in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg" entspricht eher traditionell deutscher Serbenfeindschaft als der akribischen Arbeit der Autoren; außerdem ist er falsch). Screbrenica ist eine Kleinstadt im Osten Bosniens, nahe der Grenze zu Serbien. Nach dem Angriff der bosnischen Serben war dieser Teil bald vollstädig besetzt, bis auf die sogenannten Enklaven Zepa und Screbrenica. Dorthin flohen bosnische Zivilisten vor der bosnisch-serbischen Armee. Beide Zonen waren auch Rückzugsräume für bosnische Resttruppen. Die bosnische Regierung in Sarajevo verhinderte eine Evakuierung - die mit Einverständnis der Serben möglich gewesen wäre - um die "ethnischen Säuberungen" nicht de facto zu akzeptieren. Trotzdem war allen Beteiligten klar, das Screbrenica militärisch nicht zu halten war. Weil keiner eine bessere Idee hatte, entschied die UNO, Screbrenica zur "Schutzzone" zu erklären, ein Begriff, der nichts bedeutet. Ein niederländisches Batallion (ca. 300 Mann) bezog Stellung in Screbrenica als "Beobachter"; die Niederländer sollten Kampfaktivitäten notieren und melden. Die Serben hatten die Schutzzone nur akzeptiert, wenn die restlichen bosnischen Truppen ihre Waffen niederlegten resp. den UN-Truppen übergaben. Dies geschah nicht. Die bosnischen Truppen führten einzelne Nadelstich-Angriffe gegen serbische Dörfer im Umland durch, um sich dann immer wieder in die "Schutzzone" Screbrenica zurückzuziehen. Diese Situation - verbunden mit der komplizierten Gesamtlange des Krieges, die Honig/Both wo nötig beshreiben - ist der Fall Screbrenicas logisch. Das folgende Massaker an der Zivilbevölkerung unterschied sich nur insoweit von ähnlchen Aktionen der Nazi-Wehrmacht und SS, als die Serben Frauen und Kinder weitgehend verschonten; die Männer aber, derer sie habhaft wurden, brachten sie um. Der tausendfache Mord, so Honig und Both, war gut vorbereitet, gut organisiert und Bestandteil der Kriegsführung. Für diese Morde sind auf höchster Ebene Radovan Karadcic, General Mladic und Slobodan Milosevic verantwortlich. Die Bewohner und Flüchtlinge in Screbrenica waren ein Faustpfand in einem Krieg, in dem auf allen Seiten keine Regeln mehr galten. Die bosnische Regierung nahm das Massaker in Kauf, um so die UN zum Eingreifen zu zwingen, den UN-Militärs vor Ort waren die Hände gebunden, die Serben hatten in kleinen Schritten ihre Provokationen gegen die Schutzzone ausgeweitet, um zu testen, wie weit sie gehen konnten. Screbrenica, so Honig und Both, lehrt vor allem, daß man Kriege und Konflikte nicht allein aus moralischen Impulsen heraus beenden kann. Der moralische Impuls, Zivilisten zu beschützen, und der, Agressoren zu bestrafen, schlossen sich - nicht nur in Screbrenica - kurzfristig aus. Dieser unlösbare Widerspruch hat tausende das Leben gekostet und keinem der beiden Moralansprüche entsprochen. Bestes oder schlimmstes Beispiel ist die Politik der Clinton-Regierung. Den unterschriftsreifen Vance-Owen-Plan lehnte sie ab, weil er die Serben angeblich zu sehr begünstige; das Abkommen von Dayton machte später den Serben mehr Zugeständnisse. Aus dem "Monster Milosevic" wurde plötzlich der notwendige Verhandlungspartner. Und ein "Kriegsverbrechertribunal" in Den Haag sammelt die Scherben der Politik ein. Erich Sauer
|
Jan Willem Honig, Norbert Both: Screbrenica. Der größte Massenmord in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Englischen von Thomas Bertram. Lichtenberg 1997, 287 S., 39,80 DM |