Krieg Generation danach Wie verschwundene Dinge wiederkehren können Bei einem Umzug stößt der Ich-Erzähler des Romans Der Spiegelkasten auf Fotoalben mit Bilder seines Großonkels Ismar Manneberg aus dem 1. Weltkrieg. Diese Alben bringen ihn dazu, sich mit der Geschichte des Krieges zu befassen, aber auch den Werdegang seines Verwandten nachzuvollziehen, der in diesem Krieg Karriere als Offizier gemacht hat. Durch traumatische Erlebnisse an der Front muss er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Dadurch lernt er den Arzt Karamchand und mit ihm den Spiegelkasten kennen: Eine Vorrichtung, mit der dem Gehirn von Soldaten, die Arme oder Beine verloren haben, vorgetäuscht wird, dass sie diese Beine oder Arme noch haben. Dieser Spiegelkasten wird für ihn zur fixen Idee. Er will herausfinden, wie diese Apparatur funktioniert. Im Laufe des Romans werden die beiden so verschiedenen Alltage der Hauptcharaktere, zwischen denen 100 Jahre liegen, gegenübergestellt. Hier der Offizier in einem Krieg, der sich immer mehr zum zermürbenden und traumatisierenden Stellungskrieg entwickelt, und dort das Leben eines Mannes, der seinen gesamten Tagesablauf über den Computer regelt; sich Pizzen im Netz zusammenstellt, die er Pizza Genesis nennt. Der Ich-Erzähler verschwindet immer mehr in einer Welt, die aus Versatzstücken von Kriegsberichterstattungen, Google Earth-Erkundungen, Unterhaltungen mit mysteriösen Frauen in Internetforen und historischen Fakten besteht. Christoph Poschenrieder hat einen Roman verfasst, in dem er Charaktere auftauchen lässt, die tatsächlich gelebt haben: die Offiziere Manneberg und Ludwig Rechenmacher haben den Krieg erlebt, auch die Fotoalben existieren. Die Schilderungen des Krieges, die Erlebnisse an der Front sind lesenswert und erweitern die Bildersprache über den 1. Weltkrieg mit einigen erschütternden Formulierungen. Der Ich-Erzähler bleibt allerdings etwas blass zurück. Seine Sicht auf die Dinge, seine Recherchen und seine Kommentare wirken nicht überzeugend, stehen seltsam fremd neben den Schilderungen aus den Gräben in Frankreich. Sacha Brohm
Christoph Poschenrieder: Der Spiegelkasten. Diogenes, Zürich 2011, 224 S., 21,90
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