Neue Spiesser

So erkennt man, ob man dazugehört

Ganz entzückende Sätze haben die Autoren von Der moderne Spießer da gesammelt und an den Anfang ihres Bandes gesetzt: "Das Hinterland Mallorcas hat wirklich schöne Ecken", "Endlich mal eine Energiesparlampe, die ein schönes Licht macht!" oder auch "Kinder heutzutage können ja nicht mal mehr rückwärts laufen" oder "...den musst du dir unbedingt auf Englisch anschauen."

Damit stecken Charlotte Förster und Justus Loring schon mal ihr Kampfgebiet ab. Es geht um den Spießer neuerer Schule. Der alte, den, der am Gartenzaun steht und sich über die freche Nachbarstochter aufregt, weil die wieder viel zu laut diesen Rock'n'Roll hört, der ist schon lange tot. Es lebe der moderne Spießer. Und der hat es in sich.

Die meisten von ihnen (man hat es fast geahnt) gibt es in Berlin, im Prenzlauer Berg. Dort ist quasi bei einem Laborversuch was schiefgelaufen und nun überschwemmen viele engagierte Klone die Republik. Sie können sich nicht entscheiden, ob sie lieber eine Galerie oder einen Biowein-Lieferservice eröffnen sollen. Die weibliche Ausführung des Spießers ist richtig stolz darauf, ihre Kinder zu Hause zur Welt gebracht zu haben - wie die Mutter und die Großmutter. Und jedes Jahr vor Weihnachten denkt das Spießerpaar darüber nach, ob es nicht wieder in die Kirche eintreten soll.

So anders ist der moderne Spießer im Gegensatz zum alten Spießer gar nicht. Und ob alles, was die Autoren in diesem schnell zu lesenden Band an Informationen zum neuen Spießer gesammelt haben, tatsächlich etwas mit Spießertum zu tun hat, das ist auch nicht so klar. Da gibt es Listen, Aufzählungen und kurze Beschreibungen.

Man kann erfahren, welcher Serientyp spezielle Spießerpaare sind (von Downton Abbey bis Breaking Bad), welche Prominenten höchstwahrscheinlich besonders spießig sind (Charlotte Roche, Stefan Raab, Thomas D.) und welche Prominenten möglicherweise ganz unspießig sind (Nelson Mandela, Martin Walser, Helmut Berger) - warum, das erfährt man nicht.

Diese Sammlung von Kurzinfos und locker zusammengetragenen Gags (Running Gag: Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg) ist aber für den einen oder anderen Schmunzler gut. Oder was sagen moderne Spießer gerne: "Das Essen getrennt zahlen ist echt so was von deutsch - wollen wir die Rechnung nicht einfach durch vier teilen?"

Sacha Brohm

Charlotte Förster und Justus Loring: Der moderne Spießer. Tropen Verlag, Stuttgart 2014, 175 S., 14,95