ESSAY Aprikosen am Seitenrand Rebecca Solnit erzählt von sich und vom Erzählen Das Buch der amerikanischen Kulturhistorikerin erzählt unter anderem von der Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter, die Rebecca Solnit dazu bringt, über Erinnerungen, falsche Erinnerungen und die Konstruktion von Geschichten aus Resten zu schreiben. Im Inhaltsverzeichnis sind die Kapitel hübsch im Halbkreis angeordnet und führen von "Aprikosen" aus dem Garten der Mutter über "Eis" in Island und viele Abschweifungen wieder zurück zu den "Aprikosen". Außerdem läuft am Seitenfuß ein Textband mit einer seltsamen Anekdote über Tränen trinkende Schmetterlinge durch das Buch, das sich so, trotz des durchweg persönlichen Tons, als kalkuliertes Kunstprodukt offenbart. Aus der nahen Ferne führt von kleinen, genauen Beobachtungen, etwa Mutters Aprikosenernte, um die sich nun die Tochter kümmern muss, oder ihrer eigenen Brustkrebserkrankung, zu großen Gedanken über Leben und Welt, Licht und Finsternis, die Wirklichkeit und die Geschichten darüber. Manchmal schweift Solnit dabei geradezu zwanghaft ab. Von einer Einladung etwa , etwas Kluges zum "Norden" zu schreiben, über Mary Shelley und ihren Roman Frankenstein zum Eis als solchen und zurück zu eigenen Familienfragen. Manchmal erscheinen die Zufälle auch zu gewollt, wenn gleich danach eine Island-Reise ansteht. Das passt. Schließlich deutet der Originaltitel "The Faraway nearby" deutlicher als der deutsche etwas Märchenhaftes an. Das Ganzweitweg nebenan ist ein Wunderland, Solnits Bericht über ihre Reise dahin ist ein bisschen ermüdend und überfordernd, aber das eben ganz genau so wie die 50 Kilo Aprikosen, die das ganze Buch über herumliegen und duften und darauf warten, eingemacht zu werden. Wing
Rebecca Solnit: Aus der nahen Ferne. Aus dem Englischen von Julia Franck. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014. 286 S., 19,99
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