SOAP

Die vier Quotentiere

Tonino Benacquista wedelt mit dem Hund - noch eine Drehbuch-Satire

Ganze Sitcoms werden schon mit ihrer Entstehungsgeschichte bestritten, kaum eine Fernsehserie verzichtet auf den Meta-Kick, einen Drehbuchautor auftreten zu lassen - und das Kino hat sogar vorgemacht, wie ein cleverer Autor echte Kriege gewinnt (Wag the Dog). Übrigens frei nach einer Romanidee (American Hero). Dieser französische Roman (Originaltitel Saga, von 1997) dreht all diese Tricks noch ein paar Zacken weiter.
Es beginnt mit einem Frauenmord - der später, scheinbar, keine Rolle mehr spielt. Der Ehemann jedoch sehr, der zwar nichts gesehen hat, aber der Polizei gleich drei plausible Tathergänge zu den Spuren liefert. Er ist ein Drehbuchautor, der es in 30 Jahren zu keiner Vorspann-Erwähnung brachte.
Drei weitere Story-Erfinder kommen hinzu. Eine vom Verlag gechasste Schnulzen-Schreiberin, ein Action-Genie und ein Youngster mit Flausen und einer zickigen Braut.
Außerdem die Quotenregelung, die dem französischen Fernsehen vorschreibt, mehr eigene Produktionen zu senden. Weil die aber keiner sehen will, sollen die vier Versager eine Daily-Soap fürs Nachtprogramm übers Knie brechen. Billig und schnell. 6 Personen, 2 Wohnzimmer, keine Außenaufnahmen ... es kann nur furchtbar werden.
Aber es wird genial. Ohne Erfolgsdruck steigern sich die Kreativen zu absurden Höchstleistungen. Ganze Episoden spielen einfach bei Stromausfall, wichtige Personen treten nur am Telefon auf, passagenweise wird der Literatur- und Kino-Kanon hineinzitiert ... vor allem aber sagen sie die Wahrheit. Jeder seine, über Gewalt, Sex, stilles Schluchzen, verlorene Chancen ... und Benacquista erfindet lauter wundervoll mehrdeutige Szenen und Szenen-Erfindungs-Szenen, ohne jemals platte "ich breche die Fiktion"-Witze zu brauchen.
Natürlich wird die Low-Budget-Soap Kult. Natürlich soll das Chaos-Team gegen stromlinienförmige Prime-Time-Schwadroneure ausgetauscht werden, natürlich metzeln die vier verlorenen Ritter ihr Kind in der Schlußfolge brutal nieder ... und ganz unnatürlich fängt nach den lustigen "wir mogeln den Bonzen unser Programm unter"-Kapiteln das Buch noch mal von vorne an.
Plötzlich erleben die Autoren ihren eigenen Thriller. Aufgebrachte Fans wollen neue Folgen erpressen, ja erfoltern; ein Sly Stallone Double hilft bei einer Intrige gegen geistigen Diebstahl; die verschwundene Geliebte wird romanzenhaft gefunden ... soviel Wiederaufbereitung von Motiven aus anderen Blickwinkeln kann man nur im Roman machen. Sogar der Mord vom Anfang findet seine Auflösung, Jahrzehnte nach den wilden Monaten, als Groschen-Autorin und Action-Genie längst UNO-Operations-Planer geworden sind, und der Jüngste ein Script-Doktor und der Roman-Erzähler. Wer bleibt da noch als Mörder übrig?
WING
Tonio Benacquista: Das Seifenopern-Quartett Aus dem Französischen von Gisela Koschka und Helga Künzel. edition Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, 429 S.