DATEN

Der Einzeltäter

Edward Snowdens mutiger Schritt scheint keine Folgen zu haben

»Er zeigte mir Top-Secret-Programme der NSA. Es war unglaublich. Es gibt keine undichten Stellen in der NSA. Es ließ mich nach Luft schnappen.« (Glenn Greenberg über Edward Snowdens erste Materiallieferung)

Was der Auslöser dafür war, dass der Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden eines Tages beschloß, streng geheimes Material der NSA zu sammeln und in die Öffentlichkeit zu tragen, wird auch in dem Buch des Guardian-Journalisten Luke Harding nicht klar. The Snowden Files. The Inside Story of the World´s most wanted Man stellt einen bescheidenen, freundlichen Nerd vor, dessen technische Fähigkeiten ebenso im Dunkeln bleiben wie seine Motive. Er sagt, er konnte das Unrecht nicht mehr mit ansehen. Wirft einer deshalb sein Leben weg?

Anscheinend ja. Denn andere Motive sind Snowden nicht nachzuweisen. Er hat seine Erkenntnisse nicht zu Geld gemacht (was leicht gewesen wäre), er hat persönliche Nachteile in Kauf genommen (soweit man die Bedrohung des eigenen Lebens derart untertreibend so beschreiben will) und er hat sich der Willkür der Welt ausgeliefert. Zur Zeit entscheidet Moskau über sein Leben, aber das kann jeden Tag anders werden.

Hardings Buch, das in groben Zügen die Geschichte der größten Spionageaffäre aller Zeiten nacherzählt, beschreibt die Welt, wie sie sich nach 9/11 verändert hat.

Damals waren drei große Telekommunikationsunternehmen in den USA von sich aus an die Regierung herangetreten und hatten gefragt: Was können wir tun? Dann begannen sie eigeninitiativ die NSA mit Metadaten zu versorgen, also nicht den Gesprächsinhalten, sondern den Verbindungsdaten und Email-Headern. Damit läßt sich ein recht präzises soziales Profil erstellen, ganz abgesehen davon, dass die NSA und das FBI jetzt jede amerikanische Telefonnummer kennen, die jemals mit einem Anschluß in Afghanistan in Verbindung stand.

Nachdem die New York Times 2005 einen Teil dieses gigantischen und illegalen Programms enttarnt hatte, wurde den privaten Telefongesellschaften etwas mulmig. Jetzt war die Frage an die Regierung: Könnt ihr uns nicht zwingen, das zu tun, was wir jetzt schon tun? - und man konnte. Der US-Kongreß verabschiedete ein Gesetz, das fortan so ausgelegt werden konnte, dass genau das, was schon geschah, auch rückwirkend legalisiert wurde. Zusätzlich stellte die US-Regierung die (inzwischen fünf beteiligten) Telekommunikationsfirmen von jeglichen Regressansprüchen frei. Kein Privatmann sollte je Schadensersatz von A&T und den anderen einfordern können.

Das ist die Hardware-Grundlage für die maßlose Schnüffelei der NSA. Als Snowden nach Hongkong geflohen war und dort von drei Journalisten befragt wurde, stellte ihm der Mitarbeiter des englischen Guardian eher beiläufig die Frage, ob er, Snowden, denn auch etwas über Großbritannien mitzuteilen wüßte. Oh, sagte Snowden, dort sei alles noch viel schlimmer.

In der Folge der Enthüllungen stellte sich heraus, dass dies nicht nur die Schnüffelei betraf. In England schöpft der Geheimdienst GCHQ den gesamten Netzverkehr an wenigen Knotenpunkten ab (und übergibt große Teile davon der NSA), die dortige Regierung geht auch aggressiver gegen Kritiker und Whistleblower vor als die US-Regierung. Zu den bizarren Höhepunkten der Snowden-Story gehört der Auftritt zweier Agenten beim Guardian (die Journalisten nennen sie die "Hobbits"), um mit Lötlampe und Mikrowelle Datenträger und Motherboards zu zerstören, auf denen sich Snowden-Material befindet (und dies, obwohl sie wissen, dass die Daten auch woanders gespeichert sind).

Der Zynismus, mit dem sich Regierungen inzwischen über Gesetze hinwegsetzen unter dem Vorwand, den "Terrorismus" bekämpfen zu müssen, wird nur noch getoppt durch jenen, mit dem eine schlaffe, desinteressierte Öffentlichkeit darauf reagiert. Der Idealismus Snowdens steht im krassen Widerspruch zur Reaktion eines einstmals sensibilisierten Publikums, das sich längst nicht mehr darum kümmert, wessen Daten wem bekannt sind und welcher Nachbar gerade warum abgeholt wird. Selbst ein Flaggschiff der antikapitalistischen Kritikaster wie die Linkspostille konkret winkte angesichts der Snowden-Enthüllungen nur müde ab: So what!?

Der skandalisierte Teil (Merkel und Schröder wurden abgehört; so what!?) ist dabei der unwichtigste. Verbunden mit dem Patriot Act in den USA und ähnlichen Regierungsermächtigungen im Rest der Welt (in der Türkei wird gerade das Internet chinesischen Verhältnissen angepaßt) ist es sicherlich albern, gegen die Allmacht der Geheimdienste angehen zu wollen. Sie tun genau das, wozu sie die Politik ermächtigt. Genau das beweisen Snowdens Dokumente und Files millionenfach. Und das EU-Parlament hat gerade beschlossen, ihn in dieser Sache doch nicht anhören zu wollen und ihm keinerlei Schutz zu gewähren. The Snowden Files, das erste gescheite Buch zum Thema, liegt bis jetzt nur auf Englisch vor. Es handelt von einem einsamen Mann.

Erich Sauer

Luke Harding: The Snowden Files. The Inside Story Of The World´s Most Wanted Man. Guardian Books and Faber and Faber, London 2014. 346 S., ca. 12.-. Auf Deutsch liegen bisher nur Sammelbände der üblichen Essayisten vor.