ROLLENVERHALTEN

Immer nur nett

Wie Mädchen Kriege gegen Mädchen führen

Wenn Jungs aufeinander sauer sind, hauen sie sich in der Regel was aufs Maul. Das sieht nicht schön aus, ist aber gesellschaftlich anerkannt.
Bei Mädchen ist das anders. Mädchen dürfen nicht aggressiv sein und sich schon gar nicht prügeln. Welche Streit-Strategien Mädchen stattdessen verfolgen, hat Rachel Simmons in ihrem Buch Odd Girl Out. The Hidden Culture of Agggression in Girls beschrieben (der deutsche dämliche Titel lautet: Meine beste Feindin. Warum Mädchen sich das Leben zur Hölle machen). Simmons hat Mädchen und Frauen einfach gefragt: Was macht ihr, wenn ihr sauer auf jemanden seid? Die ziemlich einhellige Antwort lautet: durch Schweigen strafen und isolieren.
Und wenn Mädchen eine der ihren wirklich fertigmachen wollen, verbreiten sie Gerüchte, schreiben Zettelchen und eMails. Für die Betroffene, ausgestoßen und vereinsamt, scheint das die pure Hölle zu sein, denn Mädchen, so Simmons und mit ihr eigentlich die gesamte Feldforschung, brauchen soziale Netze, Kontakte, Freundschaften. Je mehr Freundinnen eine hat, desto mächtiger ist sie. Die Einzelgängerin ist weder bei Jungs noch bei Mädchen geachtet. Im Detail erfahren wir Erstaunliches über die Methoden, mit denen Mädchen Konkurrentinnen geradezu vernichten.
Weiterhin hat Simmons rauszukriegen versucht, warum ein Mädchen zur Außenseiterin wird. Das ist manchmal der pure Zufall, manchmal werden Freundinnen aus strategischen Gründen verraten und ausgewechselt. Am schlimmsten ergeht es einer jedoch, wenn sie "was besseres" sein will: "Mädchen müssen bescheiden, selbstlos und zurückhaltend sein. Mädchen müssen nett sein und dürfen sich nicht wichtiger nehmen als andere; Mädchen beziehen ihre Kraft nicht aus sich selbst, sondern von anderen Menschen, auf deren Zuneigung und Zustimmung sie angewiesen sind. Man braucht nur gegen diese Regeln zu verstoßen, schon denken alle, man halte sich für 'was besseres'."
Simmons versammelt ein paar Mädchen um sich und fragt: "Eine Neue, hübsches Mädchen, kommt in die Klasse. Was denkt ihr?" - und der ganze Haufen kräht: "Wir hassen sie!" Simmons beobachtet eine Pyjama-Party, die Mädels sitzen vorm Fernseher, lackieren sich die Zehnägel, futtern Pop-Corn. Und eine nach der anderen steigt auf den Home-Trainer, um die Kalorien vom Abendbrot wieder runterzustrampeln; die Mädchen sind neun.
Meine beste Feindin zeigt den ganz allmählichen Schönheits- und Markenterror (wer die falschen Schuhe trägt, ist 'raus) der weißen US-Mittelschicht (bei Schwarzen und Hispanos sieht die Sache etwas anders aus). Und versucht, praktische Tipps zu geben, wie man den Auswirkungen entgehen kann. Simmons möchte die Mädchen aus der Schweige-Ecke holen, den Terror des Schweigens durch offene Konfliktbewältigung ersetzen. Das ist löblich.
Den Vorschlag allerdings, zum Beispiel erst mal alle Klamotten von Tommy Hilfiger zu verbrennen, macht sie nicht. Dass die Mode-Medien-Sex-Imperien das Leben der Mädchen und Frauen in den letzten 20 Jahren punktgenau definieren, fällt der Rhodes-Stipendiatin Rachel Simmons nicht ein. Sie schlägt nicht vor, sich dem Terror der Schönheitsbilder zu widersetzen. Die Lösung lautet : Nun gut, du ärgerst dich über die Top-Klamotten deiner Freundin. Aber könnt ihr nicht darüber reden?
Das ergibt, natürlich, auf Dauer noch viel nettere Mädchen.
Thomas Friedrich
Rachel Simmons: Meine beste Feindin. Wie Mädchen sich das Leben zur Hölle machen und warum Frauen einander nicht vertrauen Aus dem amerikanischen Englisch von Katharina Förs, Gabriele Gockel und Rita Seuß (Kollektiv Druck-Reif, München). Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 286 S., 19,90 ISBN: 3462032259