GALAKTISCHE GESCHICHTE

Aus dem Wandschrank

Drei Romane in einem - Dan Simmons' »Ilium«

828 Seiten, die anfangen wie die Ilias das alten Homer: Singe mir Muse, vom Zorn des Peleiden Achilles, dem Töter der Männer? Wer liest denn sowas? Wie kommt so ein Buch mit so einem Titel (Ilium) auf US-Bestsellerlisten? Vieleicht weil es ganz anders aufhört als das tiefeneuropäische Helden-Schlacht-Gemälde. "Wissen Sie was als nächstes passieren wird, in Ihrer neuen Welt?" fragt ein Überlebender den anderen? "Keine Ahnung, aber es wird verdammt interessant sein, das heraus zu finden". So redet nur ein Amerikaner des Herzens.
Auf dem Weg dahin hat Dan Simmons einen Großteil der europäischen Literatur durchkreuzt; mal per U-Boot in den Meeren des Jupitermondes Europa, wo ein intelligenter Roboter eine Seminararbeit über Shakespeaers Sonette schreibt, mal im Ballon über dem Mars, wo ein Maschinengehirn ohne Wahrnehmungsorgane Marcel Proust als Humoristen entschlüsselt. Derweil stellen die echten griechischen Götter den Trojanischen Krieg nach, und eine Handvoll letzter Menschen kriegt auf der Erde raus, dass sie Götterspeise sind.
Dan Simmons greift eine Space Opera Tradition der 70er auf, die Bildungsreise des Autors durch Wandschrank und Schultrauma; er fährt auf Heinleins Spuren, nur 30 Jahre post-moderner. Und während er drei Romane zu einem Zopf windet, knetet er vergessene Größe ins Genre: die Götter sind echte Quantenereignisse aus dem Paralleluniversum des Geistes, ha, die Erde persönlich tritt als Handelnde dazu, das Scheusal Schicksal schleicht sabbernd durch die aufgegebene Orbitalstation. Der große Zettelkasten liest sich recht flüssig und gewinnt nach Seite 600 nochmal an Wucht, einfach weil er einen so langen Anlauf hatte. Da wollen wir dem Sänger nicht übel nehmen, dass er sprachlich Probleme mit den "Schatten zwischen den Schenkeln der Frauen" hat.
WING
Dan Simmons: Ilium. Aus dem Amerikanischen von Peter Robert. Heyne, München 2004, 828 S., 15.00 ISBN: 3453878981