SCHNÜFFELEI

Big Sister

Eine TV-Journalistin entdeckt den »Alptraum Sicherheit«

Mitten im bürgerlichen Alltag sind wir bedroht. Von bösen Feinden unserer Lebensart genauso wie von Verteidigern unserer Freiheit, die sie beim Absichern Stück für Stück abschaffen. Auf das Dilemma stieß die Fernsehjournalistin Marita Neher, als sie zum zehnten Jahrestag des 9/11-Anschlags eine Dokumentation drehte, für die sie mit führenden Vertretern deutscher und europäischer Sicherheitsorganisationen sprach.

Anfangs war sie als ganz naiv bedrohte Bürgerin durchaus bereit, einen Preis dafür zu zahlen, nicht von linken, rechten, islamistischen oder sonst welchen Gewalttätern weggesprengt zu werden. Etwa sich am Flughafen nach Bomben scannen zu lassen. Oder bei Verdacht das eigene Telefon abhören zu lassen. Aber dann stieß sie auf Akten, in denen muslimische Einwanderer als "verdächtig" geführt wurden, nur weil sie sich die Achseln rasierten. Dann fiel ihr auf, dass im "Krieg gegen den Terror" scheinbar jede Menschenrechtsverletzung erlaubt ist und sogar hastig angepasste Regeln der Rechtsstaatlichkeit reihenweise gebrochen werden, um Ergebnisse zu erzielen. Und das von Beamten und Politikern, die gar nicht als geifernde Ordnungsfanatiker auftreten, sondern womöglich ehrlich besorgt sind, und auf EU-Ebene mittlerweile Millionen für Ethik-Gutachten ausgeben, die feststellen, dass "Nacktscanner" ungehörig seien, die Fernabtastung auf antisoziales Vorbereitungs-Verhalten in U-Bahnhöfen aber möglicherweise nicht.

Die schleichende Entrechtung und die unauffällige Umleitung immenser Geldmittel in die Technik der Terrorbekämpfung hat sie derart aufgeregt, dass ihr Buch über Interessen und Geschäfte hinter der Sicherheitspolitik leider völlig außer Form und Stil geraten ist. Neher springt verärgert durch den Stoff, wiederholt unnötig, rutscht auf ihren Konjunktiven aus, versemmelt dramatische Szenen und lässt Argumente, die mindestens zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde führen müssten, ins Leere laufen.

Schade, dass sie kein gutes Buch geschrieben hat. Immerhin ist es ein wichtiges geworden. Nicht so sehr wegen ihrer grundsätzlichen Warnung, Abweichung nicht als Sicherheitsrisiko an sich aufzufassen, sondern wegen der vielen Funde nebenbei. Etwa dass sich Brandenburg durch geschickte Wirtschaftsförderung zum Hauptansiedlungsgebiet von Sicherheitsfirmen und Terror-Think-Tanks entwickelt hat.

Wing

Marita Neher: Albtraum Sicherheit. Interessen und Geschäfte hinter der Sicherheitspolitik. Frankfurt: S. Fischer 2013, 240 S., 14,99