DICHTER

Shakespeare in Love

Der Roman, den Gwyneth Paltrow glücklicherweise nicht geschrieben hat

Allein der Anfang: "Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?" erkundigt sich der aufstrebende Dichter-Star artig. "Nein, danke!" entgegnet seine Ehefrau. Die gab es wirklich. Anne Hathaway saß mit Kind und Kegel in Stratford upon Avon herum, während William Shakespeare, falls er wirklich so hieß, mit möglicherweise selbstgeschriebenen Theaterstücken in London seinen tatsächlich unverwüstlichen Ruhm erarbeitete. Und neulich einen Oscar dafür kriegte, eine Schaffenskrise im Beischlaf bravurös zu meistern.
Dabei war Master Will im Leben ganz anders als im Film. Wenngleich wohl auch nicht ganz so wie in diesem Buch. Der Autor Robert Nye ist ein in Ehren ergrauter englischer Literaturkritiker und Verfasser historischer Romane - sein Buch Mrs. Shakespeares gesammelte Werke ist eine ganz famose, und auf dem Kontinet, auf beiden Kontinenten, ganz unmögliche Frechheit.
Allein die Sprache: was Anne Hathaway da vorgeblich ins Tagebuch schreibt, über ihren Will, über seinen Willie, über das pralle Leben auf dem Dorfe und die Pest in der großen Stadt, über Adel und Abdecker, über das Jahr 1594 und alles das, was Shakespeare-Forscher später erst herausgefunden oder nur vermutet haben ... das hat die Wucht, den Witz, das Versmaß und die Fallhöhe des Meisters selbst. Und eine bühnenfüllende dramatische Struktur, die schon im Druckbild, Flattersatz, als wäre es ein Stück von "ihm", sich andeutet. Und deutlich darin sich enthüllt, daß 100 Seiten schier vergehen, bis die Verlassene, bei einem höflichen Besuch beim aushäusigen Stutzer, in seinem Bett sich wiederfindet. Tagelang.
Den ganzen Shakespeare so zu erklären aus den Liebesdingen, die er und sie, als er schon längst jeden Salon der City, und alle sexuellen Präferenzen, durch - und sie die Kinder auf dem Lande aus dem Gröbsten raus hatte - das hat schon was. Und stapelweise Anekdoten aus der Autor-Hagiographie nochmal, und meistens neu und über Eck gedeutet, nachzuerzählen - das hat noch mehr. Und immer zeitgenössisch nur zu tun, damit heutige Schreibtricks nur noch reizender unter den Röcken der Geschichte vorlugen - das ist ein Erz-Spaß. Für Gebildete. Engländer.
Sonst kann kaum jemand, auch wenn die Übersetzerin den Ton noch besser trifft als wir mit jedem Drüber-Satz, das volle Vergnügen an Form und Fiktion teilen. Wen juckt's hier, ob die "Dunkle Lady" der rasenden Sonette Shakespeares Earl oder Eheweib war? Wer bebte, stellte sich, nur zum Vergleich, heraus, daß Kleist Goethe schillernd fand? Oder Mutter Courage Emanuelle anziehend?
Doch auch wer gar nichts ahnt, kann etwas davon haben. Ein Zeitbild. Menschenmöglichkeiten. Eine Unterhaltung, die ohne Formverständnis und Inhaltserkennen immer noch funktioniert. Wie Shakespeare selbst. Oder eben die Memoiren seiner Witwe.
Die gab es wirklich. Und sie erscheint in Robert Nyes Erfindung echter als ihr Gatte im Kino.
WING
Robert Nye: Mrs. Shakespeares gesammelte Werke Aus dem Englischen von Christas Schuenke. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999, 240 S., 18.90 DM