BURN IN THE USA

Land der Verlorenen

Bruce Sterling und Norman Spinrad: Zwei Altmeister der Science-Fiction kommen in ihren Romanen über das Klima-Chaos zu sehr ähnlichen Ergebnissen

Der Armee geht's so schlecht, dass sie im Lande Straßenblockaden errichtet. Jeder Autofahrer wird angehalten und höflich darauf aufmerksam gemacht, dass die Army heute leckere Kekse gebacken hat, und für eine kleine Spende sei man wirklich dankbar ... wer nicht spendet, darf nicht weiterfahren. Von dem Geld unterhält die Army ihre Stützpunkte.
Das Klima ist dermaßen im Arsch, dass die halben Niederlande bereits versunken sind, aber auch der US-Staat Louisiana ist erheblich feuchter als früher. Der Senat hat nichts merh zu sagen, Notstandsausschüsse verwalten das Land. Ein Viertel der Bevölkerung ist aus dem System ausgestiegen und lebt als Drop-Outs, Nomaden, ohne Gesetz, ohne Geld, ohne Steuern. Das Land brennt. Und die Herrschenden quasseln und intrigieren: "Einer der großen Vorzüge der Politik als Kunstform bestand darin, dass sie von der Realität weitgehend abgekoppelt war."
So sieht's aus im Jahr 2044, das sich Bruce Sterling für seinen Roman Distraction (deutsch: Brennendes Land) ausgedacht hat. Und ähnlich wie das Szenario fällt auch der Roman ziemlich auseinander. Zunächst denkt man, es gehe um einen smarten Politikberater, Oscar, ein gewiefter Junge von 28 Jahren, der gerade einen Senator ins Amt gemanagt hat und sich nun langweilt. Oscar erhält den Auftrag, ein bundesstaatliches Genetik-Labor an der Grenze zu Lousiana auf Fordermann zu bringen. Anstatt ordentlich zu forschen, blockieren die Wissenschaftler sich mit Verwaltungskram, das Labor, eingerichtet unter einer riesigen Kuppel, steht vor dem Ende. Oscar inszeniert eine Revolte, schläft mit der Chef-Neurologin, holt sich Nomaden als Schutztruppe, legt sich mit einem kriminellen Gouverneur an - es ist die schönste Kolportage, die Sterling da ausbreitet, während er immer wieder einfließen läßt, wie und warum god's own country vor die Hunde gehen mußte: "Weil wir allesamt Verbrecher sind!", sagt ein Senator. "Wir sind von der Wildnis geradewegs zur Dekadenz übergangen, ohne jemals eine authentische amerikanische Zivilisation hervorgebracht zu haben. Jetzt sind wir geschlagen, und wir schmollen. Die Chinesen haben uns beim Wirtschaftskrieg in den Hintern getreten. Die Europäer befolgen eine vernünftige, pragmatische Politik. Wir aber sind eine Nation von Dilettanten." - zwei Jahre vor Bushs Wahlsieg geschrieben; nicht übel.
Dann taucht der Präsident auf (ein Indianer namens Two Feathers), erklärt den Niederlanden den Krieg, Haitianer leiden plötzlich unter Doppelbewußtsein, Oscar wird entführt und befreit - der Roman verläuft sich. Das tut er immer noch recht spannend und unterhaltsam, aber: 200 Seiten weniger mit einer entsprechend verdichteten Handlung, und Distraction könnte es durchaus mit Brunners "Schafe blicken auf" oder "Morgenwelt" aufnehmen.
1999, im gleichen Jahr wie Sterlings Brennendes Land, ist Norman Spinrads Das tropische Millennium (O-Titel: Greenhouse Summer) erschienen. Auch hier spielt die Handlung in der Mitte des 21. Jahrhunderts, die Klimakatastrophe hat die USA nur mäßig getroffen (immerhin, Louisiana ist komplett abgesoffen und von New York gibt's nur noch die Hälfte), aber Afrika und die arabischen Länder sind am Ende. Während Sibirien sich in eine wohltemperierte Klimazone verwandelt hat, ist in Afrika nur noch Wüste, ein "Land der Verlorenen".
Nationalstaaten spielen kaum noch eine Rolle, die Welt ist in Syndikate zerfallen: Das "Big Blue"-Syndikat vereint die alten kapitalistischen Firmen, die jetzt Geschäfte mit dem Klimaschutz machen, die "Bösen Buben" sind die Reste der Mafia, Triaden und anderer Gangs, "Brot & Spiele" sind die PR-Fuzzis, und "Mossad" ist ein freischaffendes israelisch-arabisches Geheimdienstsyndikat, das seine Dienste jedem anbietet. Alle Syndikate haben ihre Lobbyisten auf die große Klimakonferenz nach Paris geschickt, wo ein Durchbruch gefeiert werden soll. Worin der besteht, ob es ihn überhaupt gibt - das versuchen die Syndikate herauszubekommen.
Spinrads Roman ist ein netter "Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, was du weist"-Krimi, in dem weniger mit Gewalt als mit gut eingesetzten Beischlafangeboten operiert wird. Und in dem die durchweg sympatischen Protagonisten irgendwann alle bemerken, dass die Syndikate sich notfalls gegen die Kapitalisten verbünden müssen, wenn sie den Planeten retten wollen. Dafür würden die "Bösen Buben" auf Profit, "Brot & Spiele" auf Aufträge und "Mossad" auf seinen Ruf verzichten. Weshalb alle Gegner irgendwann an einem Strang ziehen, um zu verhindern, dass der "Venuseffekt" eintritt, demzufolge eines Tages das Klima in kürzester Zeit unwiderruflich zusammenbrechen kann.
Spinrads Roman kommt etwas schleppend in die Gänge. Aber wenn das Intrigen-Maschinchen erst mal läuft und die Personen eingeführt sind - ein falscher Prinz als Raddampfer-Kapitän auf der Seine, ein sibirisches Ehepaar, das gekonnt die neureichen Dorftrottel gibt, es aber faustdick hinter den Ohren hat, eine erotisch aufgeschlossene PR-Dame und ein weiser Gangster, der lieber die Welt rettet als Millionen mit Erpressung zu verdienen - hat man viel Spaß dabei, die doppelten und dreifachen Volten zu verfolgen, die da geschlagen werden. Es läuft alles auf den Gedanken hinaus: Was tun wir, wenn wir wissen, dass die Welt morgen untergeht? Und vor allem: Was tun wir, wenn wir wissen, dass wir das nie genau wissen können?
Brennendes Land und Das tropische Millennium entstanden kurz nach der Klimakonferenz in Kyoto. Zwei Jahre danach haben sich die Amerikaner einen Deppen zum Chef gewählt, der genau das tut, was nach Sterlings und Spinrads Meinung in den Untergang führen wird. Sage noch einer, in der Science Fiction stecke kein prophetisches Potential!
Alex Coutts
Bruce Sterling: Brennendes Land Aus dem Amerikanischen von Norbert Ströbe. Heyne SF Nr. 6381, München 2001, 607 S., 23,37 DM
Norman Spinrad: Das tropische Millennium Aus dem Amerikanischen von Peter Robert. Heyne SF Nr. 6378, München 2001, 431 S., 19,46 DM