BOSNIEN

Ich Robinson, du Freitag

Texte zum Bosnien-Krieg

Es sei einstimmend erwähnt, daß, mir unvergessen, kurz nach der Machtübernahme durch die Mullahs im Iran die Zeitschrift "Konkret" eine große Reportage brachte, in der das Foltergefängnis in Teheran als eine Art Müttergenesungswerk vorgestellt und diezauseligen Geistlichen und ihr Gefolge überhaupt als fortschrittliche Kraft - weil gegen die USA gerichtet - portraitiert wurden (das geschah, nebenbei, unter der Herrschaft Manfred Bissingers, der heute als liberaler Schlaukopf "Die Woche" leitet). Immerhin, sowas schreibt "Konkret" heute nicht mehr. Aber sowas:
Um die neue, großdeutsche Einheit zu vollenden, der Bundeswehr Einsatzgebiete zuweisen zu können und überhaupt die Schmach des verlorenen Faschisten-Krieges zu tilgen und die damals siegreichen Serben nachträglich abzustrafen, beschließt Deutschland, separatistische Bestrebungen der Kroaten, Slowenen und bosnischen Muslime (die es eigentlich gar nicht gibt; es handelt sich dabei um die Reste des unter den Türken installierten Herrenvolkes opportunistischer Christen, die seinerzeit konvertierten, um Privilegien zu ergattern) zu unterstützen. Die Deutschen wissen dabei ganz genau, daß dieser Separatismus den Serben, die sich bedroht fühlen müssen, keine Wahl läßt, als zu den Waffen zu greifen. Mit den neu geschaffenen Staaten - dem faschistischen Kroatien und dem überflüssigen Slowenien - hat Deutschland eine Einflußzone geschaffen, die die deutsche Wirtschaft gefordert hatte. Die gleichgeschaltete deutsche Presse sorgt für ein vollkommen groteskes Feindbild, in dem die Serben nach und nach zu Nazis verzerrt werden und der nette Präsident Dr. Karadzic zu einem irren Monster herabgewürdigt wird. Es kommt zu Scheußlichkeiten auf allen Seiten, wobei die Moslems - das alte Herrenvolk - ihre Scheußlichkeiten gut verstecken und die deutsche Öffentlichkeit eh nur die serbischen Schweinerein geboten bekommt. Dabei haben die Serben zum Beispiel Flüchtlingslager für Muslime nicht eingerichtet, um sie dort zu foltern, zu vergewaltigen und zu ermorden, sondern um sie besser beschützen zu können. Auch in Screbenica sind vielleicht nur - "nur"! - 700 bis 1000 Zivilisten ermordet worden, was im Krieg halt schon mal vorkommt und nicht nett ist.
Das liest sich wie Marx-Jünger auf turkey und ist, etwas übersteigert zusammengefaßt, die Substanz der Texte, die der "Konkret"-Chefredakteur Wolfgang Schneider zusammenstellte: "Bei Andruck Mord" enthält Artikel, die über die Jahre in "konkret" standen und mit dem Bürgerkrieg in Bosnien zu tun haben.
Vieles daran ist ja gar nicht mal falsch. Die "deutschen Interessen" - gibt es. Die mühsame Debatte über militärisches Engagement - gibt es. Die maßlose Beschreibung serbischer Greueltaten bei gleichzeitiger Ignoranz ähnlicher Vorkommnisse auf kroatischer oder muslimischer Seite - geschenkt. Übel und ärgerlich wird die "Konkret"-Darstellung hauptsächlich, weil pausenlos allen Beteiligten und Betroffenen Motive unterstellt werden - welche, woll'n wir erst mal gar nicht bewerten. Nur: nur ein "Konkret"-Autor scheint keine anderen Motive zu besitzen als die Sehnsucht nach lauterer Wahrheit, ungetrübter Aufklärung und Gerechtigkeit für alle; er ist sonst kein Blödmann, aber der Herausgeber Gremliza glaubt diesen Quatsch nachweislich wirklich. Womit jede Diskussion mit "Konkret"-lingen zwangsläufig auf einen "Ich Robinson, du Freitag"-Monolog hinausläuft (dieser Vergleich eignet sich übrigens hervorragend, um mir die dollsten unter- und oberschwellig wirksamen Motive und Gemütslagen zu unterstellen: ungebrochenes Kolonialbewußtsein, latenter Rassismus, latenter Sexismus (immerhin gehört das Zitat eigentlich in die "Ich Tarzan, du Jane"-Ecke), ein unreflektiertes Rollenbild weißer Herrschaft über ... also so ungefähr geht's bei wirklich linken Linken und deren Debatten zu, für die man starke Kiefermuskeln braucht; nein nein, nicht deshalb, sondern um den Gähnkrampf zu unterdrücken).
Erheblich lebhafter und lehrreicher geht es in der Textsammlung Verschwiegenes Serbien zu, herausgegeben von der Übersetzerin Irina Slosar. Darin meldet sich "die Opposition der serbischen Opposition" zu Wort, also jene Leute, denen die im Westen so gefeierten Vuc Drascovic & Co. mindestens so suspekt sind wie die Milosevic-Clique. Von den Ursprüngen des Konflikts (im Kosovo) bis zum serbischen Selbstbild, wie es sich in Schulbüchern seit 1991 findet, wird versucht, einen Rest von politischer Kultur zu bewahren, eine Sprache zu finden, die nicht verurteilt, sondern analysiert. Das meiste davon paßt nicht ins westliche (ob rechte oder linke) Weltbild. Aber das meiste davon zu wissen ist notwendig, um den Konflikt, den Krieg und die Männer, die das vorantrieben, auch nur ansatzweise zu verstehen. Schon wegen des Kapitels über die deutsche Diskussion (von "taz"-Autor Robert Misik, der auch das eigene Blatt nicht schont) sollte man lesen, was hier (fast ausschließlich) serbische Intellektuelle über die Medien im Krieg, die Propaganda-Sprache, den Internationalen Gerichtshof zu sagen haben. Zumal es immer mehr sind als nur Meinungen, sondern Ergebnisse gründlicher Analysen und Überlegungen. Das Eregebnis, wie gesagt, wird hier nicht immer Zustimmung finden; aber darum geht es am wenigsten. Sondern darum, zur Kenntnis zu nehmen, wie es in dem Buch heißt, daß "nicht alle Franzosen mit Chirac gleichzusetzen" seien, so wenig wie alle Serben mit Milosevic oder Karadcic.
Erich Sauer
Wolfgang Schneider (Hg.): Bei Andruck Mord. Die deutsche Propaganda und der Balkankrieg. Konkret Reihe "heimatfront". Hamburg 1997, 264 S., 19,80 DM
Irina Slosar (Hg.): Verschwiegenes Serbien. Stimmen für die Zukunft? Wieser, Kalgenfurt-Salzburg 1997, 328 S., 34,- DM