FREMDE WELTEN IM FILM
Raum drunter & drüber
Zwei Akademiker im Weltraum: Georg Seeßlen und Andreas Rauscher
Wenn Georg Seeßlen sich ein Genre wie den SF-Film vornimmt - das ist, neben Krimi, Western, Fantasy und Porno, nur eines seiner Spezialgebiete - dann braucht er natürlich erst mal ein Vorwort, das er sich praktischerweise selbst schreibt, weshalb das unter 55 (!) Seiten nicht zu machen ist. Zwar wären die zwei darin enthaltenen Gedanken - 1. Science Fiction ist in den Ursprüngen pure Kolonialismusgeschichte, 2. Das wirklich Phantastische bleibt im Genre fast immer außen vor, weil es eben jenseits des Vorstellbaren liegt - durchaus auf vielleicht 5 Seiten unterzubringen gewesen, aber Seeßlens fulminante Kenntnis des Genres und vor allem der Literatur muß ja erst mal dokumentiert werden.
Das zweibändige Werk ist offensichtlich in mehreren Schichten entstanden. Es gibt eine schlüssige Erzähllinie von den Anfängen bis in die 70er, in der Seeßlen Trends und Beispiele benennt. Das beginnt mit den deutsch-expressionistischen "Mabuse"-Filmen, schildert den Einbruch des Western in den Weltraum (mit "Flash Gordon"), beschreibt die 50er als die Zeit der großen Space Operas und Invasionsfilme, wobei Seeßlen nie die Zeit vergißt, in der das Genre sich entwickelt: "Bodysnatcher" ist ein genialer Film über den McCarthyismus (auch weil Regisseur Don Siegel das gar nicht im Sinn hatte), und das "Dorf der Verdammten" bringt die Angst vor kommunistischer Unterwanderung genial auf den Punkt: wenn's sein muß, werden wir unsere eigenen Kinder schlachten.
In den 60ern begann das Nachdenken über den Kalten Krieg, Filme wie Kubricks "Dr. Seltsam " und schließlich sein "2001" öffneten neue Wege für die 70er, in denen das Genre eine Blüte erlebte. Selten wurde so viel experimentiert - Von "Andromeda" bis "Clockwork Orange", von "Zardoz" bis "Soylent Green" und "Phase IV", mit "Alien" wäre das Genre beinahe erwachsen geworden, dann kam "Star Wars" und man landete wieder und bis heute im Kinderzimmer.
Das steht so nicht bei Seeßlen, er hält "Star Wars" einfach nur für einen Film, der alles änderte. Aber mit diesem Film Ende der 70er fällt auch Seeßlens Buch auseinander. Es gibt immer mehr seltsam inspirierte thematische Kapitel - "Die Semiotik der Invasion" ist das albernste unter allen - und den einzigen Trend, den Seeßlen jetzt noch entdeckt ist die Auseinandersetzung Mensch/Maschine, der immer wieder aufgegriffen wird; alles andere sind nur noch Reprisen, postmoderne Varianten der ewig alten Geschichten.
Als Überblick ist das nicht schlecht, zumal haufenweise und ca. alle 20 Zeilen Film-Beispiele aufgeführt werden, um Seeßlens Thesen zu untermauern. Weil niemand außer Seeßlen diese Filme alle gesehen haben kann, ist es grundsätzlich schwer zu beurteilen, wie sauber er gearbeitet hat. Nimmt man jedoch zwei populäre Beispiele - "Blade Runner" und "Star Trek" - fallen allerdings sofort bisweilen haufenweise Fehler auf; in 45 Zeilen leistet er sich 1 falsche Schreibweise, eine falsche Inhaltsangabe und 1 sachlich falsche Behauptung über "Star Trek" (Seite 772-73).
Auch die Kapitel über SF im TV scheinen später an das Buch angeflanscht worden zu sein und wurden lieblos und willkürlich zusammengestellt. Eine Serie wie "Space: above and beyond" in vier Zeilen einfach als "Military SF" abzutun, ist ein bißchen schwach. Die "X-Files" kommen gar nicht vor, auch "Millenium" wird nicht erwähnt, dafür erfahren wir viel über "Mondbasis Alpha", nichts über "U.F.O" - er hätte die TV-Serien ja weglassen können, aber was er hier anbietet ist einfach ungegnügend. Nett hingegen ist seine Beobachtung, auf welch reaktionären Stelzen die deutsche "Orion" stand.
Das Buch endet plötzlich mit Soderberghs "Solaris" ("Matrix 2" kommt nicht mehr vor), es folgen ein dicker Anhang und ein recht gutes Register. Als Essay, als Überlick über die Wellenbewegungen eines Genres ist gut lesbar, wer allerdings Detailinformationen sucht, sollte auch andere Quellen hinzuziehen; da scheint Seeßlen etwas geschlampt zu haben.
DER TREK-EXPERTE
Andreas Rauscher hat seine Doktor-Arbeit über Star Trek geschrieben und als Buch veröffentlicht. Er bezieht sich in seiner mehr als 300 Seiten langen Analyse immer wieder und vorwiegend auf Seeßlen. Von dem scheint er auch die Detailsorgfalt übernommen zu haben. Zwar ist Rauschers Essay über Kirk, Picard und Sisko überaus angenehm zu lesen, die Tendenzen der drei Serien - sozusagen vom Western zum Kammerspiel mit Identitätsproblemen - sind gut und überzeugend dargelegt, und vor allem beherrscht Rauscher den großen Bogen: er kann über mehrer Episoden hinweg argumentieren, weshalb Das Phänomen Star Trek mal nicht die übliche öde Aufreihung von Episoden oder seltsamen Thesen ist.
Andererseits ist Rauscher wie Seeßlen eine genialische Schwatzbacke, die in den Details oft recht großzügig ist. Dass Picards Sternzeit-Einträge meistens bei einer Tasse Earl Grey vollzogene Reflektionen seien, hat er sich ganz allein ausgedacht. Ebenso dass Picard von den Cardassianern "im Bademantel" gefoltert wird (nette Idee, aber er ist nackt) oder dass Will Riker gerne mal Saxophon spielt (fast; Posaune wär's gewesen). Picards nervige Geliebte heißt "Vash" (nicht "Nash"), dafür ist "der bekannte Stanislaw Lem-Roman 'Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein'" nicht von Lem sondern den Strugatzki-Brüdern - bei so viel Schlamperei gerät man selbst bei einer nur leicht wackeligen These ins Grübeln: Philip K. Dick sei der bekannteste Autor des "Was wäre wenn ...?-Genres. Ob er da nicht wieder was verwechselt?
Alex Coutts
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