SEKTEN

Volles Rohr dagegen

Der Deutsche Bundestag hat jetzt eine offizielle Meinung zu "Scientology"

Die Bonner Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" hat nach zwei Jahren ihren Bericht vorgelegt. Darin steht, in groben Zügen, daß man eigentlich nicht zuständig und alles halb so wild sei, nur "Scientology" müsse als Sonderfall weiter beobachtet werden.
Die "Scientology Kirche Deutschland e.V." hat über die Zusammensetzung der Kommission, ihre Arbeitsweise und ihren Bericht sowie über religiöse Diskriminierung in Deutschland insgesamt eine Broschüre aufgelegt, die nicht ohne Gewinn zu lesen ist (an dieser Stelle als Zugeständnis für alle, die gerne Schaum vors Maul kriegen, wenn von Scientology die Rede ist: ich halte den Kirchen-Gründer Hubbard für einen schwer überschätzten Knallkopf, seine Lehren für ausgemachten Blödsinn und Scientology insgesamt für eine Handelsvertreter-Variante des Calvinismus; basta).
Zum Beispiel die Kommission: Sogenannte Sekten-Beauftragte sind ja nichts weiter als Konkurrenz-Abwürger der christlichen Kirchen. Daß sie in solch einer Kommission sitzen, ist ebenso fragwürdig wie die im Vorfeld getroffene Vorverurteilung durch die Kommissionsvorsitzende Ortrun Schätzle; daß die meisten Mitglieder der vom Bundestag eingesetzten Beratungsgruppe bekennende Christen sind, fällt da kaum noch ins Gewicht (weil die ja das Problem für kein religiöses, sondern ein politisches halten), wird aber von Scientology zurecht moniert: "Wie würde das Ergebnis einer Enquete über den Nutzen von Schafzucht wohl lauten, wenn ausschließlich Rinderzüchterverbände die Mitglieder stellen?"
Die Arbeit der Kommission, kritisiert Scientology, habe sich ausschließlich gegen Sekten gerichtet: Kritiker und Aussteiger wurden monatelang angehört, die betroffenen Gruppen selbst hatten nur wenige Stunden Zeit, ihre Position darzulegen. Weil trotz alledem nur wenig Verwertbares herauskam, hat sich noch während der Kommissions-Arbeit die Stoßrichtung verlagert. Jetzt soll der Verfassungsschutz zuständig sein (sogar der Einsatz des BND ist inzwischen geplant), um Scientology zu beobachten.
Was immer man von Leuten halten mag, die in sich einen "Thetan" wähnen, der freigesetzt werden muß: man kann sie schlecht für das belangen, was man den Großkirchen durchgehen läßt. Und wer das Scientology-Ziel "Clear the Planet!" für verfassungswidrig hält, dem seien entsprechende Erlösungs- und Missionierungsabsichten der katholischen Kirche zur Lektüre empfohlen. Auch das Demokratieverständnis innerhalb der christlichen Kirchen dürfte dem der Scientology kaum überlegen sein. Maulhalten und Gehorchen sind in jeder Religion mit Priesterschaft zwingend üblich.
Scientology sagt, die Kommission habe sich trüber Quellen bedient. Angeführte Belastungszeugen seien als Hochstapler längst entlarvt, belastende Gerichtsurteile inzwischen revidiert worden. Die Kommission habe von Anfang an vorgehabt, Scientology zu verurteilen. Beweis: die empfohlenen Gegenmaßnahmen seien in der Kommission nie diskutiert worden, sondern wie aus dem Nichts heraus nach zwei Jahren aufgetaucht; eine Version, die von Bündnis 90/Die Grünen bestätigt wird. Die Broschüre "Vom Rechtsstaat zur Inquisition" erhebt eine Menge Vorwürfe dieser Art, deren Wahrheitsgehalt zu prüfen ist und die die Arbeit der Kommission in noch seltsamerem Licht erscheinen läßt. Denn was mit Scientology im Moment in Deutschland geschieht, ist mehr als nur Diskriminierung: partielle Berufsverbote (Scientologen dürfen auf Anweisung Norbert Blüms keine Stellenvermittlung betreiben), Denunziationspflicht (Arbeitsämter kennzeichnen Firmen, die Scientology gehören), Ausschluß aus Sportverbänden, Kindergärten, Berufsgruppen und Kulturinitiativen, Auftritts- und Ausstellungsbehinderung von Künstlern wie Chick Corea oder Gottfried Helnwein, jetzt auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Es fehlt nicht viel, bis morgen jemand seinem Nachbarn "Scientologe!" an die Haustür schreibt, und übermorgen werden dem dann die Scheiben eingeworfen.
Scientology selbst führt das übrigens auf die große Verschwörung zurück, die während der Nazi-Zeit begann und vorwiegend von der Psychiatrie und ihren Verbänden betrieben wird. Derlei Unfug braucht uns hier nicht zu interessieren. Wichtiger ist, daß es wenig gesicherte Erkenntnisse über und immer mehr halblegale Restriktionen gegen Scientologen gibt; man lese etwa den Verfassungsschutzbericht NRW '97, um die Ratlosigkeit der Schlapphüte, was sie da eigentlich sollen, so richtig würdigen zu können.
Religiöse Minderheiten sollten so nicht behandelt werden. Nicht wegen der deutschen Vergangenheit, an die manche sich dabei erinnert fühlen wollen. Sondern einfach so; tut man nicht.
Thomas Friedrich
Vom Rechtsstaat zur Inquisition. Zur Methodik des grundgesetzwidrigen Umgangs mit Minderheitsreligionen in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel Scientology. Hg. von der Church of Scientology International, München, Mai 1998, 192 S. Zu beziehen über Scientology Kirche, Beichstraße 12, 80802 München