SCHULSTOFF

Liebes-Onkel

Bernhard Schlink über das deutsche Gefühl

Der Mann ist heiss. Erfolgreich, rundumgelobt, ein Aufsteiger aus schundigen Sphären. Bernhard Schlink, gelernter Jurist, schrieb mal Krimis, bevor er als Der Vorleser zu Ehren kam. Mit den Kurzgeschichten Liebesfluchten dürfte er es nun, nach einer Erwähnung durch das "Literarische Quartett", auch noch zur Schullektüre bringen.
Das muss ja nichts Schlechtes sein. Von Schlink kann man immerhin was lernen. Allerlei etwa über die Gefühlsausstattung deutscher Juristen (eher ärmlich), die Geschichtsverbundenheit deutscher Gegenwart (etwas Arisierungsproblematik ist immer dabei) und vor allem die Konstruktionsgrundlagen für Parabeln. Wie sich ein Architektenschicksal (baut große Brücken) zur Metapher wölbt, wie ein Intellektuellen-Paar sich gegenseitig bei der Stasi verpfeift, um seine Ehe zu retten, und wie alles vom im Grunde gütigen, unkomplizierten Menschen folgerichtig angerichtet wird. Weil man sich mehr liebt als man es sagen kann.
Elke Heidenreich bemängelt "blutarme Prosa", nun ja - sonst sind alle begeistert, je nun - aber wieso fällt kaum jemanden auf, dass Schlinks Liebesfluchten Männergeschichten sind, ältere Männer-Geschichten von Männern mit Vergangenheit? War mein Vater ein schrecklicher Jurist? Muss ein Bewohner von Oranienburg heute immerzu entsetzt sein? Darf ich eine New Yorker Jüdin lieben, ohne mich für Israel zu interessieren? Kann ich das überhaupt? Will ich das?
Fragen interessieren Schlink mehr als romantische Passagen oder dramatische Aktionen. Sie aber nicht zu beantworten, macht das Parabolische an den Stories etwas penetrant. Und die Atmosphäre etwas kühl, in der Liebesbeziehungen scheinbar nur benutzt werden, um Wichtigeres zu verhandeln.
Mit Ausnahmen: etwa dem Lesebuch-Kandidaten Nr. 1. Einem stirbt nach langen Jahren die geliebte Frau. Dann schreibt ihr lang verschollener Geliebter einen Brief. Den beantwortet der Mann anonym anstelle der Frau, beobachtet den anderen, freundet sich mit ihm an, lernt eine ganz andere Frau kennen und nochmal lieben ... das mögen auch jüngere Frauen gern lesen.
WING
Bernhard Schlink: Liebesfluchten Diogenes, Zürich 2000, 308 S., 39,90 DM ISBN: 3257232993