DEUTSCHER HERBST Die Zukunft von gestern Bernhard Schlink bittet die Vergangenheit zum Wochenend-Urlaub Sommer in Brandenburg. In einem heruntergekommenen Wochenendhaus ohne Strom und Wasserleitung treffen sich alte Freunde, zum Teil zum ersten Mal seit vielen Jahren. Anlass des Wiedersehens ist Jörg, der 20 Jahre lang im Gefängnis sass und gerade auf dem Gnadenweg entlassen wurde. Jörg war Terrorist bei der RAF und erinnert deutlich an Christian Klar. Bernhard Schlink schrieb seinen Kurzroman, als Christian Klars Begnadigung im wirklichen Leben gerade bundesweit erregt diskutiert und vom Bundespräsidenten schließlich abgelehnt wurde. Im Buch erklärt Schlinks Präsident, warum er sich anders entschied. Die Korrektur der Wirklichkeit ist aber nur die etwas zu aktuelle Folie, vor der sich das Romanpersonal mit seinen Vergangenheiten und Lebenswegen ins bürgerliche Heute beschäftigt. Außer Jörg sind alle halbwegs etabliert als Journalist, Rechtsanwalt, Kaufmann, Lehrerin oder Bischöfin. Jeder hat damals mit der Revolution sympathisiert, alle leiden inzwischen ein bisschen daran, so folgenlos überlebt zu haben. Die Lehrerin wird von dem melancholischen Treffen immerhin dazu inspiriert, eine eigene Erzählung über die Tage der Tat zu schreiben. Der Kaufmann wird Jörg einen Job geben. Alles geht unspektakulär zu Ende. Nur zwei Ereignisse rütteln kurz an der Resignation. Jörgs Sohn taucht auf und hält seinem Vater vor, die RAF sei eine Art SS gewesen, aber für eine Diskussion von Strategie und Taktik, Moral und Recht sind alle zu erschöpft. Dann setzt ein Gewitter den Keller unter Wasser und alle eimern Hand über Hand pfadfinderisch den Flutschaden weg und sind für einen Augenblick glücklich. Das könnte eine Parodie sein. Aber auch eine Utopie. Die gerechte Zukunft ist für ein paar Stunden kein überlebter Traum mehr, sondern Gegenwart. Das Buch ist gut, weil es so schmucklos und so kurz ist. Mit mehr Gefühl und größeren Gedanken würde aus der privaten Weltrettung am Wochenende bloß Revisionismus. Und der begnadigte Terrorist fiele als Kunstfigur und Katalysator störender auf. WING
Bernhard Schlink: Das Wochenende. Diogenes, Zürich 2008, 226 Seiten, 18,90
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