GESCHICHTEN
Wilde Welt
Lauter Liebe in Tiziano Scarpas »Was ich von dir will«
Was ist die Welt? "Ein Ort, an dem sich Tanker und Nachtfalter ganz schnell bewegen." Auf derart eruptiv-erratische Poesie muß man bei Tiziano Scarpa immer gefaßt sein. Was ich von dir will heißt seine Geschichtensammlung, wo es meistens um das Herz geht und was es für Verwüstungen anstellt. In einer Hörspiel-Szene fragt Lady Frankenstein ihr Monster vor der Erweckung: Was für ein Herz willst du, ein zynisches oder ein sentimentales? - Wo ist der Unterschied, fragt das Monster? - Wenn du ein zynisches hast, wirst du geliebt, wenn du ein sentimentales hast, liebst du. Das Monster entscheidet sich für das Sentimentale, was Lady Frankenstein schwer mißfällt, denn jetzt hat sie einen freundlichen, sanften schüchtern-verliebten Begleiter ... als sie des Monsters Herz dann gegen das zynische austauscht, wird sie ruckzuck verlassen. Denn trotz eindeutiger sexueller Avancen, die sie dem Monster-Mann macht, knurrt der nur: Sowas wie dich gibt's an jeder Ecke - und verschwindet.
In Man sieht es mir nicht an brüstet sich ein Mann damit, welche Abenteuer er bestanden hat: 100 Meter in die Tiefe springen, Waffen- und Menschenschmuggel, er ist ein ganzer Kerl. Und dann beichtet er, dass er das alles nur wurde und tat, weil er am liebsten nur "seine Teresa" angeschaut und beobachtet hätte, was der schwer auf die Nerven ging ("Kann man nicht einmal mehr in Ruhe kacken?"), weshalb sie ihren Kerl schließlich wegschickte - "Und so ging ich fort, um zu schmollen und melancholisch zu werden."
Sie sind alle ein bißchen traurig, Scarpas Geschichten und Helden, aber selten weinerlich. Er hat eine wilde Phantasie, die in der Geschichte Popcorn ihren komischen Höhepunkt findet, wo ein sehr sprachbegabter Papagei ein Pärchen auseinanderbringt, indem er die ehebrecherischen Aktivitäten des Kerls weitererzählt. Und er erzählt die tottraurige Geschichte von einem Mann, der nie mit seiner Freundin ins Kino geht. Er wartet vor dem Kino im Café auf sie und läßt sich dann von ihr den jeweiligen Film erzählen - weil er ihr so gerne zuhört. Erwartungsgemäß geht das nicht gut.
Manchmal sind die Geschichten einfach nur witzig und frech, wie etwa Schnell nach Hause, lass uns ficken, wo sich ein Pärchen nur darüber unterhält, was und wie man's demnächst treiben werde, unter Einsatz von Senf, Majonaise, Rasierschaum ... und müde werden gilt nicht. Er: "Müssen wir denn unbedingt ficken, wenn wir uns sehen?" - Sie: "Müssen wir uns denn unbedingt sehen, wenn wir ficken?"
Thomas Friedrich
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