Koch-Show Das perfekte Dinner Lawrence Norfolks historisches Märchen über Nahrung und Freiheit Es gibt ein echtes Märchen über die Kunst, eine Suppe aus Steinen zu bereiten. Man müsse nur ein paar dicke Felsen in viel Wasser kochen und vorsichtig mit etwas Gemüse, Fleisch und Gewürzen abschmecken. Das ist natürlich bloß ein Trick, mit sich eine kluge Magd von den Zwängen ihrer geizigen reichen Dienstherrin befreit. Lawrence Norfolk, seit seinem Erstling Lempriere's Wörterbuch als Lieferant dicker, penibel recherchierter Historienschinken mit ganz großen Untertönen ebenso berühmt wie gefürchtet, tut jetzt mit der gleichen Absicht fast genau das Gegenteil. Für Das Festmahl des John Saturnall erfindet er einen genialischen Jungen im England des 17. Jahrhunderts. Seine Mutter wird als Hexe verfolgt, kann ihm aber noch vor ihrem Tod alles über Kräuter, Gemüse und deren Zubereitung beibringen. Weit entfernt von den Wirren um Oliver Cromwell und dem Aufstieg der Puritaner, wächst John in der Provinz zu einem bemerkenswerten Koch heran. Und zu einer Art politischem Essenszauberer. Er nennt sich Saturnall, um an die legendären Gelage der Antike zu erinnern, mit denen freie Briten orgiastisch tischebiegend und standeslos den Abzug der römischen Besatzung feierten. So wie die Römer mit ihren Saturnalien ihr weit zurückliegendes goldenes Zeitalter ohne Beschränkungen feierten. Inzwischen aber haben längst die christlichen Kostverächter den Staat übernommen, verbieten schon in der Bibel die schönste Frucht, und plötzlich erscheinen Cromwells strenggläubige Parlamentarier als Totengräber des alten Glaubens ans Gelage für alle. Und gerade die luxuriöse, aus dem Vollen schöpfende, verschwenderische Hofküche der Reichen wird zum symbolischen Fest der Volksnähe. Vor allem aber zu einem magendehnenden Schmaus. Seitenweise ergeht sich Norfolk in Zutaten und Zubereitungsweisen, steckt Singvögel in Wildbret und so fort, ein Tier in das nächst größere. Und spendiert seinem frühen Jamie Oliver auch noch eine schmatzende Romanze mit einem Adelsfräulein. Dabei klappern zuweilen die Steine vernehmlich im Topf. Der Hang zur Ehrenrettung der britischen Kochkunst und die persönliche Freundschaft mit Kalorienkünstlern treiben den Roman etwas zu weit ins Einzelne. Und die Orgie zur Erschöpfung. Aber man muss ihn ja nicht auf einen Sitz verschlingen. Wing
Lawrence Norfolk: Das Festmahl des John Saturnall. Aus dem Englischen von Melanie Walz. Knaus, München 2012, 448 Seiten, 14 s/w Abbildungen, 24,99
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