MULTIKULTI Jeder ist eine Insel Ein Roman über das Sansibar im Herzen Die Insel vor Ostafrika ist berühmt, vor allem als Symbol. Alfred Andersch und John Brunner schrieben große Bücher mit Sansibar im Titel. Kaiser Wilhelm II. tauschte Sansibar gegen Helgoland ein. Und Lukas Hartmann hat nun eine wahre Geschichte aufbereitet, in der dieser Inseltausch vorkommt. So detailversessen wie Lukas Hartmann historische Romane schreibt, ist er auf eine exzellente Quellenlage angewiesen, die ihm den Boden für seine erzählerischen Erfindungen sichert. Zugleich aber suchte er sich immer Themen, in denen sich persönliche Schicksale in aufregenden Zeiten zu "fernen Spiegeln" für das Heute formen ließen. Trotzdem erschienen Hartmanns letzte Bücher über James Cooks Bordmaler und den Überfall der Zivilisation auf die Südsee und einen Räuberhauptmann zur Zeit der napoleonischen Kriege ein bisschen entlegen. Wie um dem Vorwurf zu entgehen, beginnt sein neuer Roman am Ende des zweiten Weltkriegs und führt von da aus sozusagen rückwärts in die Mitte der Grenzkonflikte von Orient und Okzident, Islam und Christentum. Am Beispiel der Emily Ruete, geborene Salme, Tochter des Sultans von Sansibar spinnt er eine weitgehend verbürgte Familiengeschichte über drei Generationen. In deren Zentrum steht Rudolph Said, Sohn von Salme, die sich 1866 auf Sansibar in einen Hamburger Kaufmann verliebte, ihr Erbe verließ, ihren Namen änderte, Christin wurde und ihrem Mann nach Deutschland folgte. Die Mutter gerät wegen ihrer Herkunft zur Schachfigur in kolonialen Auseinandersetzungen, der Sohn macht Karriere im deutschen Militärdienst und entwickelt einen Hang zur Völkerverständigung. Er ringt um das arabische Erbe seiner Mutter und unterstützt die Zionisten, die ein partnerschaftliches Palästina anstreben. Und damit es ein richtiger Roman wird, leidet er darunter, seine jüdische Frau wohl nicht so sehr, bis zur Weltaufgabe, zu lieben, wie seine arabische Mutter ihren deutschen Mann. Lukas Hartmann schreibt einfühlsam, bisweilen ein wenig altertümlich, ganz ohne Spannungs-Brimborium, aber immer mit einem leisen Sog. Der trägt auch über die gelegentlichen Perspektivwechsel hinweg, wenn etwa Saids Schwestern Episoden aus ihrer Sicht schildern. Eine west-östliche Saga, wie der Klappentext orakelt, wird das Buch gerade darum nicht. Es ist ebenso streng subjektiv wie faktenorientiert erzählt. Kein Sansibar-Clan ist in Sicht. Zum Glück. Wing
Lukas Hartmann: Abschied von Sansibar. Diogenes, Zürich 2013, 329 S., 22,90
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