SCHLUMMERLAND

Lügen und Lieben

Pubertäts-Märchen aus den Sümpfen Floridas

Karen Russel ist 26, lebt in New York und hat offenbar recht fruchtbare Probleme mit der Selbstaufzucht im Hinterwald gehabt. Jedenfalls handelt ihr erster Erzählungsband Schlafanstalt für Traumgestörte meist von heranwachsenden Mädchen in seltsam verzauberten Inselwelten im Süden. Alle sind ziemlich allein und manchmal sogar schon tot und verschwunden, wenn die Geschichte einsetzt.

Die 12-jährige Ava lebt auf einer heruntergekommenen Alligatorfarm, ringt zur Belustigung der wenigen Touristen mit den Reptilien und träumt des Nachts von der lockenden Gefahr da draußen. Ihre ältere Schwester wird regelmäßig von Geistern besessen, büxt zu geheimen Rendezvous aus, und auch Ava scheint in unerzählten Abschnitten der Geschichte ins fiebrige Leben zu tappsen. Der anfangs realistische Plot löst sich bald in phantasmagorische Traumstücke auf.

So geht das weiter. Zwei Brüder schwimmen und tauchen einen Sommer lang auf einem Schiffsfriedhof herum und suchen ihre verschollene Schwester. In einem Sommercamp sollen Problemkinder lernen, mit ihren Schlafstörungen umzugehen, die von Bettnässen bis Hellsehen reichen. Ein Internat für junge Werwölfe versucht, struppige Mädchen zu ordentlichen Gesellschaftsmitgliedern umzuerziehen.

Pippi Langstrumpf trifft Little Nemo in Slumberland. Einerseits leiden die Hänsels und Gretels daran, sich allein durchschlagen zu müssen. Andererseits sind sie Abenteurer in ihrem eigenen Reich. Die altklugen Kinder tollen märchenhaft zwischen Anpassung und Abstoßung herum und äußern sich immer wieder mit mehr als 26 Jahre alter Ironie über die richtige Welt jenseits der Sümpfe und Mangrovenwälder. Der Ton stört nur, wenn man ein Buch voller Kinderabenteuer für ein Kinderbuch hält. Am Schluss besucht ein frisch zivilisiertes Wolfsmädchen seine Eltern im Wald. "Ich bin zu Hause" sagt das Kind zu den stolzen Tieren, "ich log zum ersten Mal wie ein Mensch" sagt es zu sich.

Wing
Karen Russell: Schlafanstalt für Traumgestörte. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch. Kein & Aber, Zürich 2008. 304 Seiten, 18,90