FANTASY Die wahre Sprache Gerd Ruebenstrunk schreibt das gefährlichste Buch der Welt Jedenfalls steht es so im Klappentext zu Das Wörterbuch des Viktor Vau und wir ahnen, dass wohl eher dieses Wörterbuch gefährlich ist. Es ist nämlich ein Lehrbuch der Universalsprache, der Sprache, in der alle Dinge die richtigen Namen haben und alle Sachverhalte mit den richtigen Sätzen ausgedrückt werden. Umgekehrt ist alles, was man in der Sprache sagt, wahr und richtig, es gibt keine Konflikte mehr, keinen Irrtum, keine Geschichte. Das klingt irgendwie ungesund, war aber im Mittelalter ein ernsthaftes Forschungsprojekt großer Geister. Und es ist ein etwas zu großes Thema für die recht schlichte Handlung, die Gerd Ruebenstrunk in mehrfach gefalteter, aber weitgehend altertümlicher Erzählweise durch seine Lieblingsbücher schlägt. Neben den Universalsprachen geht's um Hirnhemispähren und sprachliche Besonderheiten eines Amazonasstammes. Und um eine Zeitschleife. Denn scheinbar machen sich Kräfte aus der ferneren Zukunft daran, in unserer Zukunft den Erfinder der wahren Sprache wahlweise umzubringen oder zu retten. Für die Handlung ist diese Sprache völlig unwichtig, ein McGuffin, das Wörterbuch wird bloß herumgetragen wie eine Bombe, und Spannung kommt denn auch nur bei Attentaten auf, oder wenn man grad nicht weiß, an wessen konspirativer Sitzung man gerade teilnimmt. Aber Story beiseite: Ruebenstrunks Hintergrundwelt voller ziemlich polizeistaatlicher Dynastien mit starken Computern, global agierenden Geheimdienstchefs und mutigen jungen Regimekritikern, ist geradezu süß ausgedacht. So stellte man sich in den 60ern den Fortschritt vor. Ein bisschen Zynismus kommt dann schon noch, aber Ruebenstrunk mag den schweren Ton, den einsamen Wissenschaftler, der mit seiner neuen Sprache Schizophrenie weltbildgeraderückend behandeln will. Am Ende hätte man dann doch lieber mehr direkt aus dem Wörterbuch gesehen und über den Zusammenhang von Sprache und Denken nachgedacht. Wing
Gerd Ruebenstrunk: Das Wörterbuch des Viktor Vau. Piper, München 2010, 444 S., 15,95
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