MORAL

Haltung mit Folgen

Mit »Empörung« kehrt Philip Roth zu seinen Anfängen zurück

Geradezu unschuldig wirken heute Roth' frühe Romane Goodbye, Columbus oder Portnoys Beschwerden, die damals wegen ihrer sexuellen Offenherzigkeit als skandalös empfunden wurden. Die Geschichte eines jungen Mannes, der am College lernen soll, erwachsen zu werden, erzählt Roth in Empörung noch einmal. Aber diesmal spielt alles in den frühen 50er Jahren, zur Zeit des Korea-Krieges. Die Hauptfigur, Marcus, ein Jude aus Newark, flieht vor der elterlichen Fürsorge in ein College im Norden. Dort ist man freundlich, tolerant und erbarmungslos christlich.

Erste sexuelle Erfahrungen und die Loslösung vom Elternhaus scheinen im Vordergrund zu stehen. Bis es zu einer seitenlang ausgebreiteten und sehr witzigen Diskussion zwischen Marcus und dem Dean des Colleges kommt, die den Kernpunkt dieser kurzen, sehr verschachtelt organisierten Erzählung bildet. Der Dean möchte Marcus eigentlich nur darüber befragen, ob er Schwierigkeiten am College habe, da er bereits zweimal umgezogen sei. Für Marcus geht es bei diesem Gespräch um sein Recht auf Einzelgängertum. Solange er nur fleißig lerne und nicht gegen die Regeln verstoße, gehe es niemandem etwas an, was er tue, wie er studiere oder ob er den Gottesdienst besuche.

Das sieht der Dean anders, und während Marcus eine geschliffene Rede, gespickt mit Zitaten von Bertrand Russell, wider den religiösen Irrsinn hält, bollert der Dean zurück, Russell als mehrfach Geschiedener könne kein Vorbild sein.

Abgesehen von der brillanten Gestaltung dieses Gespräches (und natürlich des Romans) hat diese Unterhaltung Folgen. Aufruhr wird in den 50ern nicht einfach geduldet. Empörung wirkt wie eine Reminiszenz. Roth benutzt eine Menge falscher Fährten, um uns glauben zu machen, Empörung habe etwas mit sexuellem Erwachen zu tun; die Passagen über die sexuell notleidende Studentenschaft sind brüllend komisch.

In einem genialen Twist lässt Roth diesen Handlungsfaden nicht einfach fallen, er verdreht ihn mit bisher immer am Rande auftauchenden Themen und verpasst dem Roman ein böses Ende. Ein Ende, das sich erst im Epilog erschließt. Und das klar macht, wie nötig die Rebellion der 68er war.

Was Anfang der 50er kläglich scheiterte, fand endlich den Weg von College-Hinterzimmern auf die Straßen.

Thomas Friedrich
Philip Roth: Empörung. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser, München 2009, 205 S., 17,90