ALTERN Zuckermans Scherben Philip Roth betreibt in »Exit Ghost« wieder ein brillantes Verwirrspiel um Kunst und Wirklichkeit Inzwischen ist er alt, inkontinent und vergesslich: Philip Roth' alter ego Nathan Zuckermann hat sich aufs Land zurückgezogen, hat die Welt, die ihm einst wichtig war, verlassen. Er hat keinen Fernseher, kein Radio, keinen Computer, keinen DVD-Player. Er hat nette Nachbarn, die sich um ihn kümmern. Und er hat Angst vor einer Welt, der er wohl nicht mehr gewachsen ist. Nach einer Prostata-Operation inkontinent geworden, hat er sich in den letzten 10 Jahren an ein Leben in Windeln gewöhnt, an den demütigenden Zustand, das Wasser nicht mehr halten zu können. Wegen einer neuer Behandlungsmethode gegen Inkontinenz fährt Zuckerman für ein paar Tage nach New York. Und sehr schnell ereilt in das alte Fieber "Leben", die Sucht nach Torheiten, der Wunsch, sich in einen Kampf zu stürzen. Und sich wieder einmal zu verlieben. Zuckerman hat Lust auf neue Feindschaften. Allerdings merkt er schnell, dass es schwierig ist, sich mit jemandem anzulegen, wenn man sich an das letzte Telefonat nicht mehr erinnern kann. Oder an das Restaurant, in dem man sich verabredet hat. Der eigentliche Kampf findet fortwährend gegen das Altern statt, gegen den Verlust von allem, was man selbst einmal war. All das packt Roth in Exit Ghost (eine Regieanmerkung aus "Hamlet", auch das genial, dies zum Titel zu machen) in einen anfangs gemütlich und leicht melancholisch dahinplätschernden Roman, der wie immer mit bisweilen peinlichen Selbstauskünften nicht spart und die ganze Lächerlichkeit eines alten Mannes ausbreitet, der hier seine Geschichte erzählt. Und dann greift das Netz der Erinnerungen, eine fast materielle Vergangenheit immer mehr in Zuckermans Leben ein. Es geht um eine alte und eine neue Liebe, ein vergessenes Manuskript, um die Biographie eines großen Mannes, der wegen biographischer Details sehr klein gemacht werden soll. Die "Läuse der Literatur" (Zuckerman), die Kultur-Journalisten, plündern das Leben eines Schriftstellers, um sein Leben als Beweis zu nehmen, dass seine Literatur wenig taugt; und seine Literatur als Beweis dafür, dass er ein verbotenes Leben geführt hat. Zuckerman hält dagegen: "Alles, was der Schriftsteller akribisch aufbaut, Satz für Satz und Detail für Detail, ist nichts als Täuschung und Lüge. Der Schriftsteller hat keinerlei literarisches Motiv. Sein Interesse, die Wirklichkeit abzubilden, geht gegen null. Seine Motive sind immer persönlicher und grundsätzlich niedriger Natur." Das Spiel der Ebenen, auf welche Art Wirklichkeit und Literatur zusammenhängen, betreibt Roth nicht anhand von Sentenzen, er benutzt seine Geschichte, um Effekte zu erzielen. Wenn am Ende Zuckerman aufs Land zurückkehrt, wenn die Hoffnung auf eine neue Jugend zerschlagen wurde, wissen wir nicht, ob wir wirklich etwas über Zuckerman erfahren haben. Und ganz sicher wissen wir nichts über Philip Roth. Außer dass er ungefähr alle 2 Jahre ein ziemlich kluges Buch veröffentlicht. Thomas Friedrich
Philip Roth: Exit Ghost. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, München 2008, 297 S., 19,90
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