ALTER
Ins Nichts
Philip Roth belächelt den Tod
Auf den ersten Seiten wird die Hauptfigur beerdigt. Die letzten Sätze des Buches springen zurück an diesen Anfang: "Er war nicht mehr, befreit vom Sein, ging er ins Nichts, ohne es auch nur zu merken. Wie er es befürchtet hatte von Anbeginn."
Neben dem unablässigen Verdienst, nie zu langweilen, hat sich der New Yorker Autor Roth hier Meriten erworben, weil er in Jedermann (O.-Titel: Everyman) über das Altern und den Tod schreibt und sich dabei jeden metaphysischen Gedankengang verkneift. Die Frage nach Gott ist dermaßen langweilig, dass sie gar nicht erst gestellt wird. Das ist schön.
In Jedermann breitet sich eine Biographie aus, die erst mit dem körperlichen Verfall richtig beginnt. Die Kindheit des namenlosen Helden wird kurz gestreift (herausragendes Ereignis: Ein Leistenbruch, der operiert werden musste), so richtig Leben in den Körper kommt, als er mit einem Blinddarm-Durchbruch ins Krankenhaus kommt.
"Jedermann" arbeitet zwar in einer Werbeagentur, aber über die erfahren wir so wenig wie über Gott. Dafür lernen wir Menschen kennen mit unerträglicher Migräne, in den Selbstmord führenden Rückenschmerzen, Krebs, Schlaganfällen - Altern ist ein Massaker, schreibt Roth. Oh weh, schreit der Held am Ende und schlägt sich mit der Faust an die eigene Brust, was habe ich in meinem Leben für Fehler gemacht! - und trifft versehentlich und recht schmerzhaft seinen implantierten Herzrhythmus-Geber. Alter und Verwesung machen demütig.
Jedermann hat Szenen aus dem Leben Amerikas, so willkürlich und unterhaltend erzählt wie in jedem Roth-Roman. Aber jeder Geschichte steht hier der Tod im Weg. Niemand stirbt zur rechten Zeit, jeder hätte noch etwas mehr Zeit verdient.
Wir sind umgeben von denen, die uns lieben und die wir verletzen. wir verpassen unsere Chancen, erleben kurze Glücksmomente, tun alles, um unser Glück zu zerstören (der Held ist zweimal geschieden), sind kurz vor dem Tod noch zuversichtlich - und gehen ins Nichts.
Für mediokre Schreiber ein Thema für ein erdrückend dickes Buch. Oder, wenn Roth darüber schreibt, für ein sehr schmales. Über einen einzigen Menschen. Der uns bei aller Komik, mit der er scheitert, sehr berührt.
Thomas Friedrich
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