WASSER & WEIN
Genies in Unterwäsche Eine Philosophie-Geschichte des schlechten Benehmens Man kann klug sein und einen schlechten Charakter haben. Man kann wissen, was vernünftig ist, und trotzdem Lotto spielen. Oder eklig zu seinen Mitmenschen sein. Und man kann Wittgenstein für einen wichtigen Denker halten, ohne ihn je auf ein Bier einladen zu wollen. Oder Heidegger, Nietzsche, Sartre, Schopenhauer, Russell, Rousseau und Foucault. Streng subjektiv haben die Engländer Nigel Rodgers und Mel Thompson diese acht europäischen Groß-Denker der jüngeren Vergangenheit ausgewählt, um vorzuführen, wie mies sich Geistesriesen im Alltag aufführen können. Der Frage, ob die Theorie taugt, wenn die Praxis stinkt, gehen sie allerdings nicht nach. Eher umgekehrt haben sie sich einige der einflussreichsten Theoretiker herausgesucht, um vorzuführen, dass die im normalen Leben genau so fehlbar sind wie jedermann. Auch wenn nicht jeder seine Kinder ins Heim gibt, um Platz für die Karriere zu haben, (wie Rousseau) oder sich todessehnsüchtig in Schwulensaunen herumtreibt (wie Foucault). Im Vorwort geben die Autoren zu, dass nicht jeder, der nicht bei ihnen vorkommt, automatisch ein guter Mensch ist und dass ihre Sittengeschichte absichtlich schlechtes Benehmen, Blödheit und soziales Unvermögen zusammen schmeißt. Es geht ihnen nicht um Moral, sondern darum, interessante Philosophen vor störender Heiligsprechung zu bewahren. Man kann eben von Heidegger was lernen, obwohl er fies zu Hannah Arendt war und mit den Nazis paktierte. So haben viele was von dem Buch, nur Eindimensionale nicht. Man erwischt die Genies des letzten Jahrhunderts in der Unterwäsche, man ertappt Sartre beim Lügen, Russell beim Lottern, Nietzsche beim Einkaufen für Wagner, aber man erfährt auch, dass Nietzsche eben kein Antisemit war und lieber Pole als Deutscher gewesen wäre, oder dass Wittgenstein ebenso Egomane wie Mystiker war. WING
Nigel Rodgers / Mel Thompson: Philosophen wie wir. Große Denker menschlich betrachtet Aus dem Englischen von Yamin von Rauch. Rogner & Bernhard, Berlin 2007, 320 S., 19,90 |