JAZZ & CRIME
Henry büxt aus
Roddy Doyles »Jazztime« verbiegt Amerika in den 20ern
Henry kommt rum. Henry hat was hinter sich. Und eine Menge vor. Der Straßenjunge aus Roddy Doyles preisgekröntem Roman Henry der Held ist mittlerweile 22, war daheim ein IRA-Killer, wurde später von der IRA gejagt, und hat nun, 1924, gleich nach der Einreise in New York, nichts eiligeres zu tun, als seinen Pass wegzuwerfen.
Henry Smart taucht unter. Henry Smart schlägt sich durch. Henry Smart verkauft Fusel an Penner während der Prohibition und tarnt die Lieferungen mit den Reklametafeln einer Sandwichmänner-Gang. Henry ist clever und gutaussehend, und viel zu stolz auf sich, um sich als Produkt der Verhältnisse zu sehen.
Schnell hat der irische Autor solch komischer Authentizitäts-Übersteigungen wie The Commitments (weißer Soul bringt's doch), ein künstliches Amerika ganz unten erschaffen. Jeder Stein, den Henry in der Gosse umdreht, wird zum Sinnbild: Die Hure, die "positives Denken" einsetzt, um größere Titten und damit mehr Kunden zu kriegen, die lakonische Menschenverachtung der Schwarzbrenner, die Weisheiten von Gangstern, Pornographen und anderen Insassen des Schmelztiegels - "Ein guter Mann braucht einen guten Hut".
Unterbrochen von plötzlichen, manchmal nur halbe Sätze langen Erinnerungen an Irland, arbeitet sich Henry von New York nach Chicago und zurück und ein bißchen nach oben. Jedenfalls bis zu einem Job als "Weisse Haut" für Louis Armstrong. Henry dient der ebenso gefeierten wie diskrimierten Jazz-Legende als Türöffner, als Bodyguard, als Freund. Ausführlich feiert die Armstrong-Episode den Jazz für einen Moment als Freiheitsmusik eines echten Amerikas.
Trotzdem gehen die wilden Frauengeschichten weiter, die Untergrund-Epsioden, die Dialog-Stakkatos, bis nicht mehr zu übersehen ist, dass das scheinbar hyperrealistische Porträt von der dunklen Seite des amerikanischen Traums ein Figurentheater ist.
Natürlich hat Doyle kunstvoll schon im ersten Kapitel eine Foto-Bude beschrieben, die pietätvolle "Letzte Bilder" von ertrunkenen Einwanderern vor einer Fluss-Kulisse macht, die mal die Wolga, mal dem Liffey darstellen muss. Ebenso offensichtlich konstruiert landet Henry, nach einem langen Abstieg zum Hobo im Westen, als Lokalkolorit in einem John Ford-Film. Alles ist künstlich, alles ist raubeinig, alles ist "echt".
Leider ist vieles über weite Strecken auch langweilig. Jazztime, der im Original viel swingender "Play that Thing" heißt, wimmelt von atemberaubenden Stellen. Aber eben, es wimmelt meistens nur. Wo Jazztime gut ist, ist es Paper Moon als Film Noir, wo es nicht so gut ist, ist es Little Big Man im Cotton Club.
wing
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