BÄREN & SEX Weggenickt im Schleudertrauma John Irvings neuer Lese-Ziegelstein ist vor allem ermüdend Das Leben ist eines der schwersten... das weiß schon der Volksmund. Richtig schwer wird es, wenn man die heimliche Geliebte des Vaters mit einem Bären verwechselt und beherzt mit einer Bratpfanne zuschlägt. So widerfährt es dem zwölfjährigen Danny Baciagalupo, der leider einen Liebesakt nicht von einer tierischen Attacke unterscheiden kann. Tot fällt die Herzensdame vom schockierten Vater und der Sohn wird über Nacht zum Mörder. Doch wie verhält man sich in einer solchen Situation? John Irving weiß Rat: Die Leiche wird dem Sheriff ins Haus gelegt und das alte Domizil in Twisted River fluchtartig verlassen. So beginnt ein unendliches Versteckspiel, quer durch Amerika und Kanada, immer verfolgt von dem unversöhnlichen Dorfpolizisten, der blutige Rache geschworen hat. Zum Glück ist jedoch schnell eine neue Freundin für den Vater gefunden und ebenso schnell dient sie dem heranreifenden Danny als Mutterersatz und Lustobjekt. Seine Wehmut über den begangenen Mord ist rasch vergessen, denn hehere Ziele rufen. Der kleine Danny will nämlich Schriftsteller werden, und so folgt man ihm, schon leicht schwindelig, durch sein turbulentes Leben. Ob in Boston oder Vermont, Iowa oder sonst wo, zäh quält man sich durch das vermurkste Leben der Familie Baciagalupo und findet auf jeder Seite eine neue Enttäuschung. Trotz detailverliebter, blumiger Sprache bleiben die Charaktere in Letzte Nacht in Twisted River farb- und belanglos. Es ist schwer, die Beweggründe und Gedankengänge der Protagonisten zu verfolgen, ohne sich ein Schleudertrauma durch ständiges Kopfschütteln zuzuziehen. Von Begriffen wie Logik und Einfühlungsvermögen wird der Leser in diesem Buch gut geschützt. Ständige Wiederholungen legen den Verdacht nahe, dass Irving nicht mehr sicher ist, ob seine Leserschaft einer Geschichte über mehr als zwei Seiten folgen kann, ohne den Anschluss zu verlieren. Angesichts auch der dreisten Motivwiederholung - immer wieder Bären, bizarre Sexszenen, der Nerd, der Schreiberling werden will - eine unbegründete Sorge. Man ist schon froh, wenn man zwischendurch nicht sanft wegnickt. Sybille Lengauer
John Irving: Letzte Nacht in Twisted River. Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog, Diogenes, Zürich 2010, 832 Seiten, 26,90
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