KANADA

Irvings Brüderchen

David Adams Richards wird erstmals in Deutschland veröffentlicht.

In Kanada ist er ein Star und hat in 25 Jahren nicht nur die meisten kanadischen Literaturpreise abgeräumt, inzwischen ist sogar ein Förderpreis nach ihm benannt.
Dass Richards bisher keinen deutschen Verlag gefunden hat, ist erstaunlich. Er verfasst literarischen Mainstream für Intellektuelle, die abends auch mal was fürs Herz lesen wollen, ohne dabei das Hirn abgeben zu müssen.
Brennendes Eis, das erste (im Mai) auf Deutsch erschienene Buch von Richards, in Kanada bereits 2000 erschienen, erinnert in Aufbau und Sprache mächtig an John Irving. Anders als Irving ist Richards allerdings ein eher prüder Heimatschriftsteller, seine Romane spielen ausschließlich in jener ländlichen Gegend, in der Richards´ lebt.
Brennendes Eis enthält Personal und Setting des traditionellen Heimatromans: böser Sägewerksbesitzer richtet "sein" Dorf und insbesondere eine herzensgute Landarbeiterfamilie zugrunde. Andererseits lässt Richards die ganze Tragödie vom Sohn des Landarbeiters erzählen, der eine recht städtisch-boshafte Weltsicht und Sprache pflegt.
Sydney Henderson ist das Musterbild eines Pazifisten. Er grollt niemandem, ist freundlich gegen jedermann und erklärt seinen Kindern: Jeder, der dir Schaden zufügt, schadet dabei sich selbst.
Weil wir in einem Roman sind, hat Richards keine Mühe, diese These zu beweisen. Er stürzt die Henderson-Familie ins tiefste Elend; die überirdisch schöne Mutter wird verhöhnt, belästigt und beleidigt, der Vater als Kinderverführer vor Gericht gezerrt. Den größten inneren Schaden tragen allerdings tatsächlich jene davon, die die Hendersons verleumden. Sie sind, im Gegensatz zu Sydney Henderson, innerlich unausgeglichen und fühlen sich durch die gutmütige Dulderhaltung Sydneys provoziert und beschämt.
Die Hendersons haben nicht das Schwarze unterm Nagel, aber eines Tages steht eine Finanzbeamtin vor der Tür und sagt, sie hätten 17000 Dollar Steuerschulden. Macht nichts, sagt Papa Henderson, dann geh ich in die Wälder und arbeite dort für gutes Geld, bis ich die Schulden bezahlen kann! - spricht´s, und verschwindet für drei Jahre. Wenn er zurückkommt, wird die Familie nicht mehr existieren.
Einen derart Hiob-braven Mann als Helden hinzustellen, klingt einfältiger, als selbst der Heimatroman erlaubt. Richards jedoch ist ein gewiefter Schriftsteller und verpasst seinem Sydney einen IQ von 170 und eine enorme literarische Bildung (für die er noch mehr verachtet wird). Sydney ist kein tumber Tor, sondern jemand, der meint verstanden zu haben, wie das Universum tickt. Dass der Mensch zum eigenen Nutze gut sei: dies zu begründen braucht der ansonsten gläubige Sydney keine Religion, das, sagt er, "erklärt sich von selbst".
Brennendes Eis spielt dabei in den 70ern und knöpft sich genussvoll die 68er vor. Ein linker Professor und eine über-engagierte Sozialarbeiterin sind pure Hassprojektionen des Erzählers. Den dumpfen Mörder, der aus Geldsucht lügt, schändet und verleumdet, lässt Richards besser dastehen als den Professor, dessen einzige Sünde eine kräftige Portion Hochmut ist.
Brennendes Eis ist wacklig konstruiert, zum Teil heftig bei Irving geklaut (ein alter Hund, ein altkluger kleiner Junge, eine schriftstellernde Tochter... mit viel Liebe mag man das eine "Hommage" nennen), unsicher in der Erzählhaltung (es enthält gleich zwei "Allwissende Erzähler", die mehr berichten, als sie wissen können), einen blöden deutschen Titel (im Original viel schöner Mercy Among The Children) und einen Übersetzer, der fürs Boxen den "Kreuzschlag" erfindet.
Und trotzdem: Richards erzählt von der wahrscheinlich tiefsten Liebesgeschichte aller Zeiten (zwischen Sydney und seiner Frau Elly), er kann das Tempo seiner Geschichte jederzeit fast bis zum Stillstand bringen und damit die Spannung erhöhen. Er kann Milieus schildern, Dialoge und Figuren entwerfen, die beeindruckend sind - Brennendes Eis ist trotz aller Mätzchen eine fesselnde Familien- und Sozialgeschichte mit rauem Unterton und einer erfrischend unprätentiösen Sprache. Und, nebenbei, seltsam altmodisch prüde. Wer saftigen Sex erwartet, wie er selbst in Mainstream-Romanen längst Konvention ist, findet auch hier eher einen braven Heimatroman vor.
Ab und zu muss jemand gegen alle Logik sterben, damit die Geschichte weitergeht. Solche Taschenspielertricks beherrscht Richards souverän. Am Ende schämt man sich etwas für die Rührung, die man beim Lesen empfand. Weil man erkennt, wie sehr man den Tricks des Autors auf den Leim gegangen ist. Auch dieses Gefühl kennt man - nach der Lektüre von Irving-Romanen.
Victor Lachner
David Adams Richards: Brennendes Eis. Aus dem Englischen von Michael Mundhenk. S. Fischer, Frankfurt 2006, 461 S., 19,90 ISBN: 3100101103