SATIRE

Verlassen & Versoffen

Die Erinnerungen eines boshaften alten Mannes

Man kann es sich ja nicht aussuchen, aber wenn: dann möchte man im Alter werden wie Mordecai Richler, ein kanadischer Autor, der so ziemlich alles gesehen hat, was Menschen einander antun können, und sich darüber einen erfrischenden und grimmigen Humor bewahrt hat.
Barney Panofsky, ein kanadischer Jude, sitzt als zorniger, verlassener Greis in Montreal und schreibt seine Memoiren - vor allem, weil sein alter Erzfeind, der kanadische Großdichter Terry McIver (eine Mischung aus Stefan George, Thomas Mann und einer Laus) demnächst seine Autobiografie veröffentlichen wird, "Zeit und Rausch", in der Panowsky vorkommen wird. Terry und Barney, beide in Montreal geboren, begegneten sich in den 50er Jahren, in Paris, wo Terry Literatur gebähren wollte und Barney einfach nur einen draufmachte. Barney war, in bescheidenem Umfang, einer von Terrys Gönnern, dafür ließ der sich regelmäßig von Barneys erster Frau Clara einen blasen (Terry schreibt in sein Tagebuch: " ...und verschmierte dann mein Sperma auf ihrem Gesicht. Gut für ihren Teint, sagte sie. Heute 670 Wörter.").
Auch auf der Hochzeit mit der zweiten Mrs. Panofsky ist McIver zu sehen ("Der Kerl ist auf allen meinen Hochzeiten", sagt Barney seiner Braut) und macht sich dabei an die zukünftig dritte Mrs. Panofsky 'ran.
Dass die ihn heute verlassen hat, seine geliebte Miriam, mit der er dreißig Jahre zusammen war und drei Kinder hat, ist Panofskys eigentliches Thema. Als Inhaber einer gut gehenden TV-Produktionsfirma für Serienschrott (seine schlimmste Serie hat er in stiller Rache "McIver von der RCMP" genannt) ist er reich, aus seinen Kindern ist was geworden - aber Miriam ist weg. Das verwindet er nicht.
Wie Barney es sieht ist ein großer satirischer Roman, den Richler auf verschiedenen Ebenen erzählt. Die wichtigste ist jene, in der Barney seine Geschichte erzählt, die viel mit Saufen und Eishockey, dem kanadischen Sprachenstreit, Antisemtismus und snobbistischen Juden zu tun hat (und natürlich mit seinen drei unglücklichen Ehen), die zweite Ebene, nur kurzzeitig eingeschobene, ist jene, die aus McIvers Tagebücher zitiert. Und so sehr man Barney, das stets alkoholistierte, cholerische Ekelpaket auch an die Wand klatschen möchte: sobald Terry McIver in humorloser Pedanterie seine Version ausbreitet, möchte man Barney in die Arme schließen und mit ihm einen Saufen gehen (am liebsten ins "Dink's", wo Barneys Kumpel Tag und Nacht durchzusaufen scheinen und wo die Bardame sich wünscht, dass nach ihrem Tod alle Saufkumpane sich einäschern lassen, damit sie die Urnen hinter sich, zwischen die Flaschen stellen kann). Die dritte Ebene besteht nur aus Fußnoten: Barneys Sohn Mike korrigiert Fehler seines Vaters, rückt Zitate zurecht und tritt überhaupt recht beckmesserisch auf.
Einmal ist Barney angeklagt, seinen besten Freund ermordet zu haben. Er wird freigesprochen, aber beinahe jeder glaubt, dass er es getan hat (er hat ihn, immerhin, mit der zweiten Mrs. Panowsky im Bett erwischt, eigentlich war Barney heilfroh darüber, aber auch das glaubt ihm niemand). Richlers Meisterstück ist es, wie er diesen vermeintlichen Mord buchstäblich in den letzten Sätzen aufklärt: Mike Panowsky schreibt ein Nachwort, sein Vater Barney hat das Manuskript nicht beenden können. Mike fährt raus aufs Land, wo das Haus seiner Kindheit verkauft wird. Ein letztes Mal blickt er raus auf den See, wo ein Wasserflugzeug im Flug die Tanks füllt. Mike fährt nach Hause: "Ich war gute fünfzehn Kilometer gefahren, als ich auf die Bremse trat und am Straßenrand anhielt. O mein Gott, dachte ich, und mir brach der Schweiß aus, ich muß sofort Saul anrufen. Und ich muß mich bei Kate entschuldigen. Aber, o Gott, für Barney ist es zu spät. Er kann es nicht mehr begreifen. Verdammt verdammt verdammt." So endet "Barney's Version" (Originaltitel). Dieses Schluß beweist nicht nur die Ähnlichkeit mit Vonnegut. Sondern dass Richler ihm auch ein bißchen über ist: Seine Plot-Auflösung ist genial, seine Bosheit direkter, zynischer, seine Figuren haben mehr Fleisch. Wie schon erwähnt: wenn man es sich aussuchen könnte, möchte man im Alter so werden wie Richler. Oder wenigstens wie Barney, bevor ihn der morbus Alzheimer in die Arme nimmt.
Thomas Friedrich
Mordecai Richler: Wie Barney es sieht. Aus dem Englischen von Anette Grube. Hanser, München/Wien 2000, 475 S., 45,- DM ISBN: 3446198512