FRAUEN

Sex unter Deck

Die Geschichte einer seltsamen Seefahrt

In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts lief es nicht gerade gut fürs britische Empire. Die US-Kolonien hatten sich vom Mutterland losgesagt, die australische Besiedlung kam kaum voran, ebenso die afrikanische, und König George war offiziell für vorübergehend ziemlich gaga erklärt worden. In London waren die Gefängnisse überfüllt (der Diebstahl von einem Kochtopf wurde standardmäßig mit sieben Jahre Deportation bestraft), das soziale Elend der vorindustriellen Gesellschaft überforderte die Gesetzgebung. Auf der Themse dümpelten zu Gefängnissen umgebaute Schiffe, auf denen Verurteilte unter elendesten Bedingungen hausten.
Das ist die Lage, von der Sian Rees in Das Freudenschiff berichtet. Ausführlich beschreibt sie das Elend, in das Frauen geworfen sind, die damals vor allem von den kriegsheimkehrenden Männern aus der Arbeitswelt wieder verdrängt werden und notgedrungen im kriminellen Milieu landen.
Ungefähr 250 Frauen werden 1789 auf das Schiff "Lady Julian" verladen und nach Australien deportiert, wo die kleine Kolonie "Cove Sydney" dringend Frauen benötigt. Dank einiger großzügiger Offiziere verwandeln die Frauen das Schiff bald in ein schwimmendes Bordell. Rees beschreibt ausführlich die grauenvollen Bedingungen auf einem Schiff der Royal Navy, wo hunderte von Frauen unter Deck hausen, sich bestenfalls mit kaltem Salzwasser waschen, sich gegenseitig bestehlen - und doch heilfroh sind, weil das relativ gut geführte Schiff immer noch besser ist als jedes englische Gefängnis.
Es gibt offensichtlich einige Dokumente, die den Weg der "Lady Julian" beschreiben, einige Einzelschicksale lassen sich fast bis zum Ende verfolgen. Das Freudenschiff ist keine pikante Schnurre, sondern eine engagierte Sozialstudie. Klug und nachvollziehbar widmet sich Rees sowohl der globalen Politik als auch dem traurigen Einzelschicksal: weil sexuelle Übergriffe auf See gegen Gefangene sowieso vorgekommen wären und üblich waren, ist es ein großes Glück für die Frauen, mit Sex Geld verdienen zu können oder zu einem Matrosen ziehen zu dürfen; selbst wenn die Frau gerade mal 14 war.
Erich Sauer
Sian Rees: Das Freudenschiff. Die wahre Geschichte von einem Schiff und seiner weiblichen Fracht im 18. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Karin Dufner. Europa, Hamburg/Wien 2002, 283 S., 19,90 EU ISBN: 3203815001