ESSAYS

Im Dickicht der Städte

Reportagen und Weisheiten eines witzigen Kanadiers

Wir Kanadier sind großmütige Menschen, sagt David Rakoff. Wir würden den Preis für "Miss Kanada" immer der Zweitschönsten geben - die Schönste hat ja schon genug.
Obwohl sein Buch Gelogen! heißt (im Original "Fraud!"), ist Rakoff vor allem ein Arbeiter im Garten der Wirklichkeit. Er besucht Aikido-Seminare bei Steven Seagal, ein Komiker-Festival in Aspen (mit der festen Absicht, einen üblen Verriß zu schreiben, oder, wie er es nennt: "Robin Williams das Fell über die Ohren zu ziehen"), er schreibt über das Gefühl, als Einwanderer in Manhattan einzutreffen, über sozialistische Jugendspinnerein in einem Kibbuz (nächtliches Hühnereinfangen ist gut geeignet, jeden Idealismus im Keim zu ersticken) oder wie es ist, als Schaufenster-Dr. Freud live Therapiesitzungen abzuhalten.
Ob wahr oder ausgedacht: Rakoffs Reportagen sind vorzüglich recherchiert, er weiß immer mehr über den Gegenstand als das, was er gerade sieht oder erlebt. Und er hat einen ausgeprägten Hang zu pointiert formulierten Positionen (ein Hang, der sich auch immer wieder gegen ihn selbst richtet). Stilistisch ist er ein witziger Essayist, handwerklich ein guter Reporter: Er beobachtet nicht nur die Dinge, sondern auch, wie sie ihn, Rakoff, verändern. Nachdem man einige Artikel von ihm gelesen hat, weiß man, was der Mann haßt: Esotheriker, Landeier, Sich-Suchende. Und dann schreibt er über ein Survival-Training und ist ganz hin und weg über sein erstes selbstgemachtes Feuer und gibt zu, wie er auf der Heimreise überfahrene Kleintiere auf der Straße sieht und automatisch überlegt, was für ein dolles Essen sich daraus machen ließe.
Und er hat die Gabe, mit einem einzigen Nebensatz zu vernichten. Als er ein Ein-Personen-Stück des Komikers Castellaneta sieht, das ein bißchen viel Friede-Freude-Eierkuchen anbietet, schreibt er: "Die nebulöse New Age-Botschaft der Show ist, dass all diese lauteren Seelen aufgeboten werden, um unseren Glauben an etwas nicht näher Genanntes (vermutlich nicht das Ein-Personen-Stück) wiederzuerwecken."
David Sedaris wird zitiert, Rakoff sei der witzigste und klügste Mann der Welt. Mit David und Amy Sedaris ist Rakoff gut befreundet und hat für Theater und Radio mit beiden gearbeitet. Trotzdem ist der Sedaris-Satz nicht ganz falsch.
Thomas Friedrich
David Rakoff: Gelogen! Aus dem Amerikanischen von Georg Deggerich. Diana, München / Zürich 2002, 287 S., 18,- EU