RAF IM FILM

Abbilden was war

»Der Baader Meinhof Komplex« hatte bei seiner Erstausgabe 1986 einen schwarzen Schutzumschlag, 592 Seiten und kein Register. Die Neuausgabe 2008 hat einen weissen Umschlag, 896 Seiten, ein dickes Register und viele Fotos, deren Bildunterzeilen manchmal falsch sind.

Wenn Constantin-Produzent Bernd Eichinger einen seiner Filme in Schwierigkeiten wähnt, geht er manchmal zum Spiegel und lässt sich dort einen Artikel schreiben. Da der Spiegel mit seinen legendären Kontakten zur deutschen Geheimdienstszene einen Großteil dessen in die Welt gesetzt hat, was wir heute über die RAF zu wissen glauben, konnte es keine bessere Hausnummer geben für einen PR-Artikel über etwas, was "den Mythos RAF zerstört", so der Spiegel.

Der Spiegel jubelte wie bestellt, dass hier endlich auf Psychologisierung und Erklärungsversuche verzichtet werde und der Film ein "Meilenstein für den deutschen Umgang mit der RAF" sei: "Die Deutschen werden sehen, wie es gewesen sein könnte, als Jürgen Ponto ermordet wurde. Sie werden sehen, wie es gewesen sein könnte, als Schleyer entführt wurde."

KOPFSCHÜSSE

Wohingegen enthalten sein müsste, weil man es weiß: Wie Anwälte vor Gericht zu Durchsuchungszwecken die Hosen runterlassen müssen. Wie der (unschuldige) Schotte McLeod durch die geschlossene Tür erschossen wird, weil die Polizei ihn für einen Terror-Verdächtigen hielt. Wie die BILD-Zeitung Heinrich Böll zum Terror-Buben machten... ach, es gäbe so viel zu erzählen.

Zum Beispiel, dass auffallend viele des Terrorismus Verdächtige bei ihrer Verhaftung schwer verwundet oder gleich erschossen wurden. Auffällig viele davon mit Kopfschuss. Auffallend viele begingen "Selbstmord" im Knast. Da die RAF, im Nachhinein betrachtet, ein regelrechter Suizid-Verein gewesen sein muss: hätte ein Staat nicht die Pflicht, derart dauergefährdete Häftlinge besser zu beobachten?

Als die Kontaktsperre über die RAF-Häftlinge verhängt wurde (die der Bundestag schamhaft nachträglich legitimierte), wurde der Staatsschutz zur einzigen Quelle für das, was sich in Stammheim 1977 abgespielt hat. Nicht einmal die Gerichtsurteile sind öffentlich: Die schriftlichen Urteilsbegründungen gegen Baader & Co. unterliegen bis heute der Geheimhaltung.

»MEIN FREUND KLAUS«

Bevor wir jetzt glauben, wir wüssten alles, sei eine andere Neuauflage empfohlen: Mein Freund Klaus von Peter O. Chotjewitz ist 2008 in überarbeiteter Fassung erschienen. Chotjewitz nennt sein Buch einen "Roman" (um sich zu schützen), tatsächlich beschreibt das Sachbuch eine Spurensuche. Klaus Croissant, Rechtsanwalt, Lebemann, Terror-Verdächtiger, Europaabgeordneter, Spion, wird benutzt, um eine andere Geschichte zu erzählen, nämlich die der bürgerlichen RAF-Anwälte (wie Chotjewitz einer war). Die kamen eher zufällig mit der RAF in Kontakt und erlebten einen Staat, der keine Scham mehr zu kennen schien. Der einen Einschüchterungs- und Überwachungsapparat einsetzte, der Angst machte. Der sich (auch) des Spiegel bediente, um Croissant zu einem Top-Terroristen hochzujazzen, in dessen Kanzlei Schriftsätze, Butterbrote und Bomben für die RAF angefertigt worden seien.

Chotjewitz versucht aufzuzählen, was wir alles nicht wissen, was von Beschuldigungen übrig geblieben ist, die seinerzeit wie Tatsachen gehandelt wurden und nichts als Behauptungen waren. Chotjewitz: "Alle Staaten sind verbrecherische Organisationen. Es gehört zu ihrem Wesen. Das ist der Grund, warum ich mich niemals von Menschen distanzieren würde, die den Mut und die Kraft haben, den Staat zu bekämpfen. (...) Ich selbst könnte es nicht. Mein Leben ist mir lieber als das der anderen. Zu Sterben im Kampf gegen den Staat und die Exponenten der herrschenden Klasse erscheint mir absurd. So absurd wie das ganze Leben, das ich auch seiner Absurdität wegen liebe."

LANGES GEDÄCHTNIS

Man muss diese Position nicht teilen. Aber dieser Staat sagt, dass man gegen ihn sein darf. Und dass man dabei nicht seiner Grundrechte verlustig geht. Das hat er, der Staat, vorsichtig gesagt, damals nicht eingehalten. Und soweit wir annehmen wollen, dass "der Staat" von einer Klasse beherrscht wird, kann man feststellen, dass diese herrschende Klasse ein langes Gedächtnis hat und den Angriff auf ihre Existenz nach wie vor übel nimmt. Das erkennen wir an den langen Haftzeiten für RAF-Verurteilte. Das erkennen wir an dem (meistens von BILD) organisiertem Aufschrei, wenn es um "Begnadigungen" für verurteilte Terroristen geht. (Einen wie Christian Klar, der sich bis heute nicht ordentlich "distanziert" hat, werden sie auf ewig schmoren lassen. So viel Rache muss schon sein.) Und das erkennen wir an solch einem Film, der hinter billiger Faktenhuberei seine Ratlosigkeit verbirgt über das, was war

Thomas Friedrich
Stefan Aust: Der Baader Meinhof Komplex. Überarbeitete Neuausgabe, Hoffmann & Campe, Hamburg 2008, 896 S., 26,Peter O. Chotjewitz: Mein Freund Klaus. Überarbeitete Neuausgabe. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2008, 573 S., 22,-