RUHRGEBIET Frikadellen-Flair Frank Goosen plaudert per Buch und CD vom Schwarzen unterm Nagel Viel werden wir in diesem Jahr wohl noch vom Ruhrgebiet zu hören kriegen, der jüngst zur "europäischen Kulturhauptstadt" eingewachsenen Region zwischen Strukturwandel und vermögensloser Beharrung. Nicht vieles von der Feierprosa wird aber wohl so viel Spaß machen wie die gesammelten Heimatbetrachtungen des Bochumers Frank Goosen. Jedenfalls Menschen, die bei "Ruhr" noch an "Pott" denken und sich heute noch über das das viele Grün wundern, das man links und rechts der A 40 sieht, wenn man da im Stau steht. Frank Goosen hat sich nämlich absichtlich zwischen gleich mehrere Stühle gesetzt. Natürlich muss er als Regionalpatriot (66 mittendrin geboren und nie mehr weggekommen) sein Kindesland jetzt angemessen loben. Natürlich will er als erfolgreich herumtourender Autor (Liegen lernen) und Kabarettist kein Klischee auf dem anderen lassen. Vor allem aber setzt er frech antizyklisch auf den ganz kleinen Raum seiner Geburt. Anders als Spaßmacherkollege Hennes Bender, der sein Ruhrgebiet gerade lexikalisch umfassend und erschöpfend bewitzelte, erzählt Goosen meist, wie es bei ihm umme Ecke war und ist. Warm fasst einen da ein Heimatgefühl aus längst gebrochener Zeit an. Es ist zwar völlig uninteressant, wie die Kneipen hießen, in denen Goosen aufwuchs, aber es gibt den Dönekes einen schönen Frikadellen-Flair, der auch erfundene Erinnerungen glaubhaft macht. Goosen-Kenner werden einigen Figuren aus früheren Werken wiederbegegnen. Ruhrgebiets-Enthusiasten werden den sublimen Hass auf Dortmund bemäkeln. Oder sich beleidigt fühlen, weil er sogar Schalke erlaubt, Fußball heute nicht als "Arbeit" sondern als "Spiel" zu betreiben. "Geschäft" sagt er lieber nicht, wie überhaupt die Sozioökonomie fast gar nicht vorkommt. "Gelsenkirchen" wettert er einmal "musste Schulden machen, um den Soli bezahlen zu können", aber das ist Rollenprosa und soll nicht als Ossi-Beleidigung gelesen werden. Lieber macht er den umgekehrten Witz: Ein einheimischer Türke zum Neu-Zuzügler aus Russland: "Wir habe euch nicht gerufen". Als Fazit aus dem Bemühen, Klischees zu zerstören, die ganze Gegend zum erkennbaren Phänomen und die eigene Biographie zum Kulminationspunkt zu machen, fällt ihm nur ein: "Woanders is auch Scheisse." Stimmt, aber wo sonst traut sich einer, das so zu sagen? Wing
Frank Goosen: Radio Heimat. Geschichten von Zuhause Eichborn, Frankfurt 2010, 160 S., 14,95 / Hörbuch. Gekürzte Lesung, Roof Music, Bochum 2010, 2 CDs, 14,95
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