WAHRE WERTE
Entleerte Welt
Jedediah Purdy schreibt gegen die "ironische Gesellschaft"
Wenn man Jedediah Purdy heißt, ist man auf einer Farm aufgewachsen, gottesfürchtig und den Eltern ergeben. Sollte man später das Glück haben, dennoch aufs College gehen zu können, setzt ein Kulturschock ein. Purdy ist genau das passiert. Aufgewachsen auf einer Farm in West-Virginia, privat unterrichtet von den Eltern, kam er mit 16 aufs College in Harvard - und verfaßte mit 26 Jahren ein Buch unter dem hochtrabenden Titel "For Common Things. Trust, Irony and Committment in America Today". Das Buch ist ein flammender Appell wider die "ironische Gesellschaft", für wahre Werte und Ernsthaftigkeit. Das abschreckendste Beispiel ist ihm der Komiker Jerry Seinfeld, das liebste Vorbild die eigene Mama, die ehrenamtlich für die örtliche Schulbehörde arbeitet.
Das Buch brachte es bis in die Rezensionsecke der "New York Times", Purdy war ein kleiner Star in der von ihm so verachteten Medienwelt, die Sehnsucht nach Gemeinsinn, Gottesfurcht und ernsthaftem politischen Engagement war plötzlich Partygespräch. Dass der junge Mann ein ziemlich flaches, pathetisches Buch geschrieben hatte, in dem lediglich ein bißchen jüngere Philosophiegeschichte aufglänzt (Montaigne, Emerson, Rousseau, Marx), dem aber jeder ökonomische Zusammenhang ebenso abgeht wie jegliches Geschichtsverständnis, fiel nicht weiter auf.
Das Buch ist jetzt auf deutsch erschienen (unter dem Titel Das Elend der Ironie), und jetzt liest es sich doppelt so lustig. Denn inzwischen ist der 11. September passiert und George Bush und Afghanistan, und all die "wahren Werte" sind in Amerika wieder schwer im Kommen, was nichts anderes heißt als: gegen die Bösen darf wieder Krieg geführt werden, mit allen Mitteln. Ironie (die Purdy eh ständig mit Zynismus verwechselt) ist verboten, im Justizministerium wird vor Dienstantritt wieder gebetet, bevor man Araber ohne Gerichtsbeschluß verhaftet, interniert oder, vorerst nur im Ausland, exekutiert.
Nichts davon hat Purdy gefordert. Aber auch nichts davon hat er in seinem "Elend der Ironie" vorausgesehen. Ein Blick in die Geschichte hätte genügt, um zu erkennen, dass die fürchterlichsten Gesellschaftsformen - vom Stalinismus bis zur McCarthy-Ära - sich immer durch vollkommene Humorlosigkeit auszeichnen; die Sehnsucht nach "wahren Werten" endet meistens im Autodafé.
"Was hat uns die Welt so entleert?" fragt Purdy in seinem ewig unpräzisen und weinerlichen Tonfall. Wer so fragt, bekommt Donald Rumsfeld als Antwort.
Erich Sauer
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