MUSIK-GESCHICHTEN

Getackerte Kulturen

Wie ein Mode-Fuzzi und eine frustrierte Designerin in den 70ern den Punk erfanden

Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock. England hat zwei Jahre lang davon geträumt. Dann war alles vorbei. So schnell wie die drei Akkorde, die Steve Jones auf seiner Gitarre runterbretterte. Als Punk am Ende war, blieben ein toter Sid Vicious, ein verbitterter John Lydon und ein lachender Malcolm McLaren zurück - The Great Rock'n'Roll Swindle.
Auch wenn es viele immer noch nicht war haben wollen: Punk Rock wurde regelrecht erfunden. Und zwar in einem Klamottenladen, nicht in irgendeinem Proberaum zwischen Verstärkern und Gitarren. Malcolm McLaren, ein frustrierter Modefuzzi, und seine Freundin Vivienne Westwood, eine ebenso frustrierte Designerin, waren auf der Suche nach neuer Jugendkultur, mit der man Geld verdienen konnte. Das war am Anfang eine wüste Mischung aus fünfziger Jahre Teddyboy Style (später Das Feindbild der Punks) und versifftem Bikerlook. Später kam noch ein Hauch Haute Couture hinzu.
Die Idee dazu kam McLaren bei einem seiner New York Aufenthalte. Zuerst waren die New York Dolls seine auserwählte Speerspitze, um dem Establishment einen Schock zu verpassen. Aber die Band kriegte nichts geregelt wegen zu viel Heroingenuß.
McLaren kehrte nach London zurück, einen Haufen Pläne im Kopf. Er hatte erkannt, das sich neue Ideen für die Jugend am besten mit Musik verkaufen lassen; dieser Gedanke ist wahrlich nicht auf seinem Mist gewachsen. Aber die Zielstrebigkeit und Detailbesessenheit, mit der er seinen Masterplan, eine neue Jugendkultur zu etablieren, in die Tat umsetzte, waren erstaunlich. Er rekrutierte zwei Stammkunden aus seinem Laden, Paul Cook und Steve Jones, um eine Band zu gründen, die er managen wollte. Und weil McLaren nebenbei ein guter Geschäftsmann war, nannte er die Band Sex Pistols. "Sex" war schliesslich auch der Name des Modegeschäfts, das er mit Vivienne Westwood betrieb.
Am Anfang war der Look, das Image. Zerrissene Klamotten, die mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden. T- Shirts, auf die wirre Polit-Pamphlete und sexuelle Provokationen gedruckt wurden. Selbst Nazi-Symbole stellten ein Tabu dar, das gerne gebrochen wurde. Alles nur zu dem Zweck, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen.
McLaren und Westwood warfen alle bis dahin bekannten Subkulturen durcheinander und tackerten sie wieder zusammen. Heraus kam dabei ein Stil, der die Popkultur der siebziger Jahre erschütterte. Das war 1976, und ein ganz kleines bisschen ist bis heute noch davon zu spüren.
Und was war mit der Musik? Die Pistols konnten immer noch keinen vernünftigen Ton spielen und traten in ihrem Übungsraum vor Freunden und Bekannten auf. Das sollte sich schlagartig ändern als ein junger Ire namens John Lydon als Sänger zu der Band stiess.
Zwei Jahre später, San Antonio, Texas, 1978: Zweitausendzweihundert texanische Rowdies und Hinterwäldler bewerfen die Band auf der Bühne mit allem was sie haben. Bierdosen, Hot Dogs, Popcorn. Vereinzelt fallen Schüsse, die alle in die Decke gehen. Die Sex Pistols in der Hölle von Redneck County. Es sollte eines ihrer letzten Konzerte werden. Lydon aka Johny Rotten bekam eine Torte ins Gesicht geworfen, und in seinen Haaren klebt die Rotze der Zuschauer. Nach der Show konnte man die Bühne vor lauter Bierdosen nicht mehr sehen.
Diese Show ist exemplarisch für die Geschichte der Sex Pistols. Keine andere Band wurde bis zum heutigen Tag mehr bespuckt, beworfen, verprügelt und mit Auftrittsverboten belegt als die Sex Pistols. Die Spur der Verwüstung, die sie nach ihren Konzerten hinterließ, war Teil des Spiels. Von McLaren ausgedacht und von ihm und den Pistols immer wieder provoziert. Gleichzeitig hinderte dieses Verhalten die Pistols aber daran, eine Band zu werden, die in der Lage gewesen wäre, gute Musik zu spielen. Ihre letzte Show in Bill Grahams Winterland/San Francisco ist als schlechtestes Rock'n' Roll-Konzert aller Zeiten in die Musikgeschichte eingegangen. Danach lösten sie sich auf.
Das alles kann man in Jon Savages brillanten Buch nachlesen. Besser kann man Musikgeschichte und Popkultur fast gar nicht mehr aufarbeiten. Und auch wenn das Herz des Punk nur von 1976 bis '78 schlug - eine These bei der wahrscheinlich viele Punkideologen empört aufheulen werden - hat Savage diese zwei Jahre dermassen spannend und kompetent aufgearbeitet, dass nicht nur sentimentale Enddreissiger ihre Freude dran haben werden.
Legt dieses Buch unter die Kopfkissen der Kids. Dann werden sie vielleicht merken, wie sehr sie von Limp Bizkit & Co verarscht werden.
Mirko Puzic
Jon Savage: England's Dreaming - Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock Edition Tiamant, Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2001. Aus dem Englischen von Conny Lösch, 544 S., 58.00 DM