GESUNDHEIT

Bio-Honig im KZ

Esotherik, Ernährung und Gesundheit bei den Nazis

Hitler war kein Blutsäufer, sondern Vegetarier und Abstinenzler. SS-Chef Himmler war begeisterter Anhänger der Homöopathie. Rudolf Heß, der Möllemann der NsDAP, brachte sich sein Diätessen von zu Hause mit, wenn er zu Besprechungen in die Reichskanzlei mußte und hatte im übrigen dicke Magneten überm Bett hängen, die ihm nachts "negative Energie" entziehen sollten. Goebbels gewöhnte sich das öffentliche Rauchen ab und wurde erst, wer will's ihm verdenken, 1944 rückfällig. Um ihre Gesundheit waren die Nazi-Bonzen sehr besorgt; nur der dicke Reichsmarschall Göring soff und qualmte hemmungslos.
Wie und warum die Gesundheitsvorsorge ab 1933 in den deutschen Volkskörper kam, hat der US-Wissenschaftshistoriker Robert N. Proctor in seinem Buch The Nazi War on Cancer festgehalten (deutscher Titel: "Blitzkrieg gegen den Krebs"). Dabei geht es weniger um die Schnurren der Herrschenden, viel- mehr um den erstaunlichen Befund, dass unter den Nazis auch solide und bahnbrechend geforscht wurde. Den Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und Rauchen entdecken und bewiesen deutsche Wissenschaftler in den 30er Jahren, woraufhin die Partei, immer für Askese gut, eine heftige Anti-Raucherkampagne lostrat; auf Anordnung des Führers wurde sogar das Rauchen in Straßenbahnen verboten, um die jungen Frauen, die dort arbeiteten, nicht zu gefährden. Sogar das Phänomen (und das Wort) "Passivrauchen" wurde damals entdeckt.
Die Forschungsergebnisse zu Asbest, Radium, Chrom und Kunstfarben waren beachtlich, für die Krebsforschung und -vorsorge wurde einiges getan, und selbst der Tierschutz lag den neuen Herren am Herzen: Göring persönlich verbot die Vivisektion zur Forschungszwecken.
Proctor, der bereits über die Verbrechen deutscher Ärzte geschrieben hat, steht diesen Befunden erstaunt und ambivalent gegenüber. Was auch immer an solider Forschungsarbeit im Gesundheitsbereich geleistet wurde, diente natürlich letztendlich nur dem Ziel, die Deutschen, die "arische Rasse" zu stärken. Wenn man wußte, dass bestimmte Arbeitsplätze gefährlich waren, wurde nicht die Arbeit verändert, es wurden einfach Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt... der Kräutergarten im KZ Dachau war ebenso vorbildlich wie der dort erzeugte Bio-Honig.
Ob aus dem Bösen etwas Gutes entstehen kann - mit der Frage hat sich zuletzt Ernst Nolte herumschlagen müssen. Er hat sie bejaht - wie Proctor es tut. Der verweist darauf, dass die amerikanische Krebsforschung auf den Ergebnissen der deutschen Kollegen aufbaut, die bereits in den 30ern Befunde postulierten, die Ende der 50er als Neuentdeckung deklariert wurden. Dass Asbest karzinogen ist, wußten schon die Nazis. Und dass die gerade entdeckten Vitamine kein Allheilmittel sind, auch.
An den Nazis erstaunt, wie immer, ihre heillose Richtungslosigkeit. Während einerseits Wünschelrutengänger amtlich bestraft wurden, ließ Hitler seine Reichskanzlei esoterisch durchchecken. Noch '44 wollte Himmler den bizarren Forschungsauftrag initiieren, zu untersuchen, warum es in den KZ keine Krebsfälle gäbe. Und während die Anti-Alkoholiker 1933 begeistert zu den Siegern überliefen, war z.B. der Reichshetzer Julius Streicher ein strammer Säufer.
Vor allem die fanatisch geführte Anti-Raucherkampagne hat bis 1945 einiges bewirkt. Proctor vermutet, dass sie nach '45 in Deutschland deshalb etwas an Schwung verloren habe, weil ihre führenden Köpfe von den Alliierten hingerichtet wurden. Als Kriegsverbrecher, die sie waren, nicht als Nichtraucher.
Erich Sauer
Robert N. Proctor: Blitzkrieg gegen den Krebs. Gesundheit und Propaganda im Dritten Reich Aus dem Amerikanischen von Alexandra Bröhm und Katharina Wehrli. Klett-Cotta, Stuttgart 2002, 447 S., 25,50 EU