ÖKONOMIE

Doppelgrab

Ein leidenschaftliches Plädoyer für den Sozialstaat

Heribert Prantl ist als Ressortchef "Innen" der "Süddeutschen Zeitung" wahrscheinlich der letzte Linke mit publizistischem Einfluss. Bei ihm paaren sich Leidenschaft mit bayerischer Ruhe, weshalb ihm die oft nervige Aufdringlichkeit mancher Linker vollkommen abgeht. In der "Süddeutschen" schreibt er vor allem Kommentare, wenn es ums Recht geht (Prantl war mal Staatsanwalt und Richter), in Kein schöner Land argumentiert er weniger juristisch als moralisch für den Sozialstaat.
In 7 Kapiteln analysiert er Herkunft und Untergang des "sozialen Gedankens" (sozusagen von Bismarck bis Guido Westerwelle), der ja keineswegs nur aus einer moralischen Verpflichtung heraus entstand, sondern weil er als "Feldlazarett" (Prantl) an den Fronten des Kapitalismus für die Verwundeten zu sorgen hatte, damit der Wirtschaftsablauf nicht gestört werde.
Das Recht auf Würde, Arbeit und Existenz ist seit den 90ern durch eines auf grenzenlose Gier, Reichtum und Verantwortlungslosigkeit ersetzt worden (sozusagen von Hans-Olaf Henkel bis Gerhard Schröder). Prantl belässt es nicht beim Lamento, er beschreibt, wie zunächst bei der Aushöhlung des Asyl-Grundrechtes "geübt" wurde, wie man Unerwünschte ökonomisch ausgrenzt, um das dann im großen Maßstab zu exekutieren. Deutschland ist heute weder Vaterland noch Heimat, sondern "Wirtschaftststandort"; und so, sagt Prantl, sieht es auch aus: "Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen, sie bilden eine Einheit. Wer den Sozialstaat beedirgen will, der muss also ein Doppelgrab bestellen." Der Neoliberalismus, die "Markt ist alles"-Ideologie hebt Prantl in den Rang einer Religion: man kann es glauben, aber nichts Genaues weiß man nicht. Und dann macht er einen sehr bayerisch-pffifigen Einschub: "Religion überlebt nur mit einem Kern an Moralität." Solch schlitzohrige Wendungen vollzieht er gerne. Weshalb sein Essay (neben der Tatsache, dass er Recht hat) auch wegen seiner vergnüglichen Lesbarkeit zu empfehlen ist.
Erich Sauer
Heribert Prantl: Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit. Droemer, München 2005, 208 S., 12,90 ISBN: 3426273632