SCHELMENSTÜCK

Payback-Day

Peter-Paul Zahl wühlt im Kirchenschatz-Dreck

Es ist fast wahr - und es ist von der ersten Seite an Literatur. Unübersehbar in Fraktur gesetzt protzt Der Domraub schon im Vorwort mit Ironie-Signalen ("Büchlein", "Kurzweil", "Anno 1979 bis 2001") und schiebt als Autor den "Erzschelmen Peter-Paul Zahl" vor.
Es war aber der entschiedene Kriegsdienstverweigerer, Kirchengegner, Gesellschaftsveränderer und Systemgefangene Peter-Paul Zahl, der nach seiner Verurteilung (Schiesserei mit der Polizei) 10 Jahre in Haft saß. Dort lernte er Lubomir Ernst kennen, dem das Gericht den Plan zum grossen Kölner Domraub von 1975 zuschrieb. Fälschlich und unter skandalöser Rechtsbeugung, fand Zahl, schrieb den Roman dazu aber erst jetzt.
In Form und Haltung setzt er damit seine großen Glücklichen fort, mit denen er 1979, noch aus der Einzelhaft, zum erfolgreichen Autor wurde: pralle Erzählung, verspielte Stil-Zitate, barocker Formenreichtum und ein Schelm als Held. Diesmal ist es Vladimir Heiter, der bei Titos Partisanen das Organisieren lernt. Später steigt er im Kunsthandel zum Dieb und Hehler auf, und nach dem Domraub zu Köln wollen plötzlich Täter und Ermittler seine Dienste bei der Abwicklung. Viel Hin und Her, und am Ende sitzt Heiter als Drahtzieher da. Das ist das Brot.
Das Wasser ist das Beiwerk: die finale Gerichtsverhandlung als Musical-Script etwa, erschreckend lückenhafte und dadurch noch erschreckendere Träume von Folterungen auf Titos Gefängnisinsel, wüste Anklagen gegen die staatsleitenden Verbrecherbanden und die Kirche als größte Gauner-Organisation der Welt, die Geschichte von Fritz Teufel, Hamlet und die Bibel im Hännesche-Format (obwohl, so richtig kölsch ist der Handlungsort dem in Jamaika lebenden Zahl aus dem Gedächtnis nicht gelungen). Und jede Menge Sex, wie alte Männer ihn so gerne beschreiben.
Manchmal trägt es dabei die Story aus den Fugen, wenn der Furor des Autors, durch literarische Gesten nur wenig gemildert, über die Gehirnwäschereien der Gesellschaft der Herrschenden zu heiss läuft. Oder andersherum: wenn seine Hauptfigur, der kunstliebende Dieb, der immer nur die Expropriateure expropriieren will, einmal bei "Stammheim" bloß an Selbstmord denkt. Und ihn erst Frankfurter Unterweltler ohne lästige Skrupel aufklären müssen, dass "denen da oben" alles zuzutrauen sei. Das ist etwas plump.
"Behutsame Menschenfreundlichkeit" unterstellte mal F.J. Raddatz dem Zahl. Ach Gott ja, wer auch ein karibisches Cannabis-Kochbuch geschrieben hat, kann kein ganz schlechter Mensch sein; aber hier geht es doch wohl eher um altersweise Staatsfeindlichkeit. Nicht aufgeben und trotzdem Spaß haben. Das funktioniert.
Mit einem Lexikon wäre er noch grösser: über welchen deutschen Undercover-Agenten, der auch bei Zahl vorkommt, hat Stefan Aust ein Buch geschrieben, in dem auch der Domraub vorkommt? Und warum behauptet Zahls Heiter/Ernst, die "Minna von Barnhelm" sei von Kleist?
WING
Peter-Paul Zahl: Der Domraub. dtv Nr. 24299, München 2002, 339 S., 15,- EU