VIRENWARNUNG
Viele tote Vögel Der Internet-Dienst »proMed-Mail« und der Seuchen-Thriller »Die achte Posaune« Bekanntlich fällt ja kein Sperling vom Himmel, ohne dass unser himmlischer Vater davon wüßte. Ob er aber auch weiß, warum so ein Sperling vom Himmel fällt? Ohne weiter auf die göttliche Antwort zu warten, hat sich die Organisation "proMED-mail" gegründet, dort zählt man, unter anderem, vom Himmel gefallene Vögel. Und guckt genau nach, warum der Piepmatz tot umfiel. In Brooklyn zum Beispiel sind im Jahr 2001 genau 51 tote (und 8 lebende) Vögel mit dem West Nile-Virus gefunden worden. Das erstmals 1937 in Uganda entdeckte Virus wird von Moskitos übertragen und breitet sich seit 1999 in den USA aus, bei Kindern, Alten und Immungeschwächten kann "WNV" Meningtis oder Enciphalitis auslösen. 156 Menschen sind in den USA bisher an "WNV" gestorben. 1994 wurde der Internet-Dienst "proMED-Mail" von Seuchenmedizinern und Virologen gegründet. Die Idee: weltweit sollte jeder, ob Laie oder Fachmann, Beobachtungen und Vorfälle melden, die von proMED-mail gesichtet, redigiert und ins Netz gestellt werden. Gesundheitsämter, Ärzte, Ökologen, Interessierte - jeder kann sich des Dienstes bedienen und nachsehen, ob seltene und seuchenverdächtige Erkrankungen gemeldet wurden, und vor allem: wo. proMED hat, nach eigenen Angaben, heute 24.000 Korrespondenten in 140 Ländern, zu den Herausgebern gehört u.a. der AIDS-Entdecker Daniel S. Shapiro. Die eingehenden Meldungen werden alle 24 Stunden fürs Netz aktualisiert, wer sich unter www.promedmail.org einloggt, erhält Meldungen und Daten so schnell und frisch wie bei keiner Behörde. proMED-Mail finanziert sich ausschließlich über Spenden, die größten Geldgeber sind die Bill Gates-Stiftung und die Rockefeller-Foundation Publizistische Unterstützung leistet vor allem der Mediziner John S. Marr, der gerne Thriller schreibt, in denen er das Eklige seines Geschäfts ausstellt: Die achte Posaune handelt von einem wahnsinnigen Killer, der seine Oper per Parasiten, Viren und Pilze erledigt. Wenn der Senator etwa mit seiner Geliebten nächtlich nachts in den Pool klettert, stellt er plötzlich fest, dass er über und über mit kleinen Blutegeln bedeckt ist, die sich langsam in den Senator hineinfressen; als er am nächsten Morgen tot gefunden wird, ist der Mann recht leer. Die achte Posaune ist ein ziemlicher Krawall, man braucht starke Magennerven, um die innere Auflösung der Opfer zu ertragen, gleichzeitig lernt man jedoch eine Menge über Seuchen, Parasiten und wie's in der Natur so zugeht. Der Held des Buches übrigens wird gejagt, weil der Killer ihm seinen Erfolg neidet: der Bösewicht will unbedingt verhindern, dass der Held Geldgeber für "proMED-Mail" auftreibt. (Schnurre am Rande: nebenbei möchte sich Mediziner Marr auch als Filmkenner präsentieren, und fast alles, was er erzählt, ist vollkommener Blödsinn: falsche Jahreszahlen, falscher Film, falsche Rolle ...). Marr verweist ungefähr alle 20 Seiten auf die Arbeit des Internet-Dienstes, beschreibt dessen Arbeit und Wirkungsweise. Meistens jedoch hat der Autor einfach Spaß an ausgefallenen Morden: Wenn zum Beispiel die Passagier eines Fluges aus Las Vegas kreischende Opfer von tausenden von Zecken werden, ist das, bei aller Tragik, nicht ganz unkomisch. Vor allem, weil die Opfer alle Mitglieder der christlichen Sekte "Promise Keeper" sind, die sich getroffen hatten, um den HErrn zu preisen und das Sündenbabel Las Vegas zu verdammen. Jetzt haben sie Gottes Geschöpfe im Nacken und im Handgepäck. Und Zecken, das lernen wir bei Marr, übertragen wirklich üble Krankheiten. Erich Sauer
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John S. Marr: Die achte Posaune Aus dem Amerikanischen von Axel Merz. Lübbe, Bergisch-Galdbach 2002, 477 S., 22,00 EU |