Geschichte Mythen Erinnerung an Pol Pot und seine linken Freunde Als der Terror der Roten Khmer in Kambodscha (oder Kampuchea, wie es damals hieß) seinen Höhepunkt überschritten hatte, als die Schreckensherrschaft 1978 ihrem Ende entgegensah, besuchte eine vierköpfige Delegation aus Schweden auf Einladung der kambodschanischen Regierung das Land, um sich umzusehen und zu bezeugen, dass in "Kampuchea" alle grenzenlos glücklich sind und dort der neue Mensch entsteht. Prominetes Mitglied der Gruppe war der Schriftsteller Jan Myrdal, der bis heute trotzig zu dem damaligen Resümee der Gruppe steht: Alles ist in Ordnung, niemand wird gequält. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehr als eine halbe Millionen Menschen ermordet worden oder verhungert und das Nachbarland Vietnam stand kurz vor dem Einmarsch, weil es die Provokationen der Guerillas aus Kambodscha nicht länger dulden wollte. 2006 veröffentliche der schwedische Autor Peter Fröberg Idling seinen Nachbericht zu dieser Reise: Pol Pots Lächeln sorgte in Schweden für einigen Aufruhr und ist jetzt endlich auf Deutsch erschienen. Wobei die Frage, warum vier schwedische Gutmenschen damals nicht sahen oder sehen wollten, was sich quasi unter ihren Augen abspielte, weniger interessant ist als jene, die auch sich und uns Idling stellt: Warum sehen wir immer nur das, was wir sehen wollen? Teile der Linken führten damals, nicht nur in Schweden, einen propagandistischen Abwehrkampf. Die Gräuelberichte aus Kambodscha wurden als imperialistsiche Propaganda abgetan. Noam Chomsky, der große alte Mann der Linken (der so oft daneben lag wie kaum einer), betrieb damals "Textanalyse", um den Wahrheitsgehalt der veröffentlichten Berichte über Kambodscha herauszufinden. Sein Ergebnis: Daskann alles nicht wahr sein. Und Jan Myrdal schrieb später: "Es gab einen Völkermord in Kambodscha", und der wurde von den USA begangen". Neben dieser Suche nach der verlorenen linken Ehre ist Idlings Buch auch ein Essay über die jüngere Geschichte Südostasiens, vor allem natürlich über Kambodscha, das von den USA ohne Kriegserklärung bombardiert wurde (mit der anderthalbfachen Menge an Bomben, die alle Alliierten zusammen im Zweiten Weltkrieg abgeworfen haben) und das unter der windigen Politik seines nicht minder windigen Prinzen Sihanouk zu leiden hatte, der sich zum Sprecher der Pol-Pot-Mörder machen ließ und sich später gegen sie wandte. Zwischen Historie, Vision und Recherche (Idling reiste durch Kambodscha und besuchte Orte und Personen, die damals von den Schweden besucht wurden) ist Pol Pots Lächeln ein sehr lesbarer, literarisch anspruchsvoller Essay, in dem sich Spekulation, Fragestellungen und Geschichte begegnen. Was dachte Pol Pot wirklich, als er schließlich, viele Jahre später, im Dschungel vor ein "Volksgericht" gestellt wurde? Warum sind Vietnam und Kambodscha verfeindet? Was wurde aus den Mördern der Pol-Pot-Ära? Und warum tun wir uns so schwer, Irrtümer nicht nur zu erkennen, sondern auch zuzugeben? Zu der Frage hat auch das Buch Auslöschung. Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet etwas zu sagen. Rithy Panh, der überlebende Autor, erlebte als Kind den Terror Pol Pots (er verlor seine ganze Familie) und drehte später einen Film über das Folterzentrum "S21" und dessen Direktor, Genosse "Duch". Panh durfte Duch während dessen Prozesses befragen. Er legte ihm Dokumente vor, Geständnisse, Notizen zum weiteren Verfahren mit den Gefangenen. Über 12000 Menschen wurden in "S 21" ermordet, niemand verließ dieses Gefängnis lebend. Ahnlich wie die Nazi-Täter äußert sich Duch bereitwillig zu fast allen Fragen (auch wenn er oft lügt, wie Panh meint) und ist der Auffassung, jetzt habe er aber einen Freispruch verdient, schließlich habe er sich ja entschuldigt. Manches von dem, was Panh über die Khmer-Zeit schreibt, widerspricht dem, was Idling behauptet (etwa was das Verbot von Brillen unter den Khmer betrifft). Aber gerade in ihrer Widersprüchlichkeit ergänzen sich die Berichte. Idling wie Panh sind hinter all den ekelhaften Details längst nicht mehr an einer "Wahrheit" interessiert, einer Antwort auf die Frage "Warum". Es geht nur darum, zu beschreiben, was war. Erich Sauer
Peter Fröberg Idling: Pol Pots Lächeln. Eine schwedische Reise durch das Kambodscha der Roten Khmer. Aus dem Schwedischen von Andrea Fredriksson-Zederbauer. Mit einem Vorwort von Steve Sem-Sandberg. Edition Büchergilde, Frankfurt 2013, 352 S., 22,95 / Rithy Panh mit Christophe Bataille: Auslöschung. Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013, 239 S., 19,99
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