FITNESSWAHN
Ganz ruhig liegen
Das »Lexikon der Fitness-Irrtümer«
Wir sparen uns den Hinweis, dass auf dem Buch besser "Ein paar ungeordnete Gedanken über Sport, Sex, Ernährung und das Gesundheitssystem" gestanden hätte. Statt dessen haben Udo Pollmer, Susanne Warmuth und Gunter Frank das Werk lieber das Lexikon der Fitness-Irrtümer genannt; klingt halt besser.
Um Fitness geht es im Groben - niemand kann beweisen, dass Sport tatsächlich lebensverlängernd wirkt - , um Gesundheit ganz allgemein: Testosteron verkürzt eher die Lebenszeit, Hunger macht blöd, Sport oft magersüchtig, das Duschen nach dem Sex verbraucht mehr Kalorien als der Sex selbst, und Joggen ist sowieso vollkommen ungesund. Meistens gehen die Autoren liebgewonnene Vorurteile an, etwa jenes, dass Vorsorgeprogramme das Volk gesund machen: Prostata-Vorsorgeuntersuchungen haben die Todeszahlen eben so wenig beeinflußt wie Mammographien.
Richtig lehrreich ist das Buch, wenn es um das Manipulieren von Statistiken geht. In Beispielen - etwa anhand der berühmten "Harvard-Studie" - weisen die Autoren nach, wie Befunde manchmal verfälscht oder sogar ins Gegenteil verkehrt werden. Dass wir heute vorwiegend und vermehrt an sogenannten Zivilisationskrankheiten sterben, liegt nicht daran, dass wir insgesamt weniger gesund leben, im Gegenteil: nur wer lange lebt, kann an Krebs, Herzinfarkt oder Alzheimer sterben. In armen Gesellschaften mit Lebenserwartungen von knapp 55 Jahren kommen solche Krankheiten selten vor.
Auch wenn man im Detail dem polemischen und bisweilen albernen Tonfall der Autoren etwas ratlos gegenübersteht, besteht der große Verdienst ihrer Arbeit darin, sich grundsätzlich gegen Körperkult und Fitnesswahn auszusprechen. Zum einen, weil Lebensverlängerung eben nicht alles ist, zum anderen, weil mehr Profitgier als Altruismus hinter all den Fitness-Empfehlungen stecken; nicht mal die viel gelobten "Rückenschulen" bringen, außer ihren Anbietern, nachweisbare Vorteile. Und schließlich: weil nicht unwesentliche Leistungen der Kultur - wie zum Beispiel das Schreiben - tatsächlich eher im Sitzen als im Laufen erbracht werden. Dazu findet sich im Buch ein schönes Brecht-Zitat: "Der größte Teil der kulturellen Produktion der letzten Jahrzehnte wäre durch einfaches Turnen und zweckmäßige Bewegung im Freien zu verhindern gewesen."
Im Ernst: die wesentlichen und wenigen meßbaren Vorteile sportlicher Betätigung führen die Autoren auf den Aufenthalt im Freien zurück, nicht nur wegen der Luft - die ist oft schlecht - sondern wegen des Sonnenlichts, das eine Menge Stofwechselprozesse in Gang setzt; das hat noch niemand richtig untersucht. Also: Ab und zu einen Spaziergang zu machen ist wahrscheinlich gesünder als stundenlanges Hampeln in der Muckibude oder Rösten im Sonnenstudio. Und billiger allemal.
Erich Sauer
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