GEWALT Alles wird gut Steven Pinker hat ein dickes Buch über Gewalt geschrieben Eigentlich ist Steven Pinker Kognitionswissenschaftler, der eine Menge kluger Bücher über Bewusstsein und Sprache geschrieben hat. Gewalt. Eine Geschichte der Menschheit ist eine dick geratene Rechtfertigungsschrift für Pinkers These, dass die Menschheit im Laufe der Jahre immer friedfertiger geworden sei, dass die Gewalt, global gesehen, rapide abgenommen habe. Der statistische Beweis für Pinkers Behauptung ist schnell erbracht. Gemessen an der Weltbevölkerung hat es noch nie in der Menschheitsgeschichte weniger Gewalt gegeben, trotz zweier Weltkriege und der Nazi-Gräuel. Den inneren Beweis erbringt Pinker durch eine kurze Geschichte des Abendlandes. Darin beschreibt er, essayistisch durch Orte und Ereignisse führend, wie unsere Abscheu vor Gewalt zugenommen hat, wie menschliche Verhaltensweisen, die im 8. Jahrhundert als vollkommen "natürlich" galten, heute undenkbar sind. Selbst barbarische Überreste - wie etwa die Todesstrafe in den USA - treten uns nur noch stark abgemildert entgegen. Niemand wird mehr im Staatsauftrag verbrannt oder erschossen, öffentliche Exekutionen sind so undenkbar wie das Zurschaustellen Gehenkter. Woran das liegt: Das zu klären, taucht Pinker in die Ideen- und Zivilisationsgeschichte ein. Es liegt, grob gesprochen, am Zivilisationsprozess. Das klingt redundant (wir sind gewaltlos zivilisierter, weil wir zivilisiert und gewaltlos sind), geht aber tiefer. Der Mensch, so Pinker, entdeckt im Laufe der Geschichte, dass er selbst mehr davon hat, wenn er sein Gegenüber nicht erschlägt, sondern mit ihm Handel treibt. Wer erfolgreich handeln will, muss sich über die Motive seines Gegenübers klar werden, sich in ihn hineinversetzen. Das fördert die Empathie. Auch die Alphabetisierung der Bevölkerung, die Fähigkeit, Romane zu lesen, fördert die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Im Geiste von Norbert Elias (den er oft zitiert), Kant und den Verfassungsvätern der USA erzählt Pinker seine Geschichte der Menschheit neu, vom englischen Mittelalter bis zur langsamen Abschaffung der Abschreckungsdoktrin, dem Ende der Sklaverei und der zunehmenden menschlichen Selbstbestimmung, die lustiger Weise für Pinker auch mit Hygiene zu tun hat. Wer mit anderen Menschen näher zu tun haben möchte, sollte sich mehr waschen. Und wer sich nur als übel riechendes Bündel präsentiert, macht es dem Anderen leicht, für minderwertig gehalten zu werden. So arbeitet sich Pinker durch Thesen und Chroniken, um beinahe entschuldigend festzustellen: Die Welt wird immer besser. Man muss seiner These insgesamt nicht zustimmen, um diese faszinierende Materialsammlung zur menschlichen Natur und ihrer Geschichte mit Genuss zu lesen. Erich Sauer
Steven Pinker: Gewalt. Eine Geschichte der Menschheit. Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel. S. Fischer, 1212 S., 26,00
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