Balkengeschichten Durch die Reihen Goran Petrovic erzählt von Jugoslawien Es beginnt mit einem gewitzten Schuster, der einen Armeeposten Stiefel aufkauft. Nur rechte Stiefel. Alle Konkurrenten lachen ihn aus. Als ein paar Wochen später ein weiterer Posten Stiefel zur Auktion steht, diesmal allerdings nur linke Stiefel, kochen die Gerüchte: Korruption, Schiebung. Dem armen Schuster istīs einerlei, er arbeitet die jetzt passenden Stiefel auf und legt damit den Grundstein für sein Vermögen. Das investiert er in den Bau eines Luxushotels. Und vielleicht wäre aus dem Hotel ja auch was geworden, wenn der Ex-Schuster sich nicht dauernd über seine mondäne Kundschaft geärgert hätte. Statt bei ihm zu sitzen, raunzt er seine Gäste an, sollten sie lieber anständig arbeiten. Aus dem Hotel wird später mal ein Kino werden, mit einem "Sternenhimmel aus Stuck". So heisst auch der Roman des in Serbien geborenen Goran Petrovic, der in genau diesem Kino sein Personal versammelt und Sitzreihe für Reihe vorstellt: Hier die verklemmte Lehrerin, dort der Herr Lehrer, hier die zwei Zigeuner - sie alle sind in den 80er Jahren Kundschaft im Kino, das mal ein Hotel war. Und jedem gibt Petrovic eine Geschichte, mal traurig, mal lustig. Es ist, als säße man einer Balkan-Version eines frühen Fellini-Films, nur etwas politischer: "Im alten Ägypten war es Sitte, dass den Pharao mehr oder weniger freiwillig seine ganze Gefolgschaft ins Jenseits begleitete (...). Auf dem Balkan hingegen hat man es nie eilig, hier dauert alles etwas länger. So konnten Jahrzehnte ins Land gehen, ohne dass sich alle, die dem Herrscher treu gedient hatten, gegenseitig umbrachten. Deshalb kommt es einem manchmal so vor, als sei dies die längste Bestattung in der Geschichte der Menschheit." Thomas Friedrich
Goran Petrovic: Ein Sternenzelt aus Stuck. Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. DTV, München 2013, 200 S., 15,40
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