Grusel

Schrecken im Schrank

Marisha Pessl soll wieder bestsellern

Nachdem man die knapp 800 Seiten von Marisha Pessls Horrorkrimi hinter sich gebracht hat, fragt man sich: Gibt es irgendein Klischee, das sie nicht benutzt hat? Enthält Die amerikanische Nacht auch nur eine einzige Idee, die in der Popkultur der letzten 30 Jahre nicht bis zu ihrem logischen Ende verwurstet worden ist? Und kann man eine Autorin ernst nehmen, die ihren Leser in einem dunklen Raum mit dem Satz "Ich erstarrte vor Schreck. Da war jemand" entgegentritt?

Marisha Pessl hat vor Jahren mit "Die alltägliche Physik des Unglücks" einen Bestseller geschaffen, dessen Erfolgsrezept wiederholt wird. Wieder wird der eigentliche Roman durch faksimilierte "Dokumente" ergänzt (Zeitungsausschnitte, Manuskripte, Fotos), eine Technik, die seit Dos Passos oder John Brunner wirklich nicht neu ist. Hier untermauern sie die Rechercheergebnisse eines Journalisten, der dem großen Horror-Regisseur Cordovar auf die Schliche kommen will. Den hat sich Pessl aus Alfred Hitchcock, Stanley Kubrick, David Lynch und Dario Argento zusammengeschraubt. Cordova ist mysteriös, unnahbar, gruselig, und im Laufe des Romans stellt sich die Frage, ob der Regisseur wirklich mit dem Teufel im Bunde ist und ob sein riesiges Anwesen "The Peak" nicht Brutstätte kranker Riten und scheußlicher Morde ist.

Leider hat die 1977 in North Carolina geborene Marisha Pessl eine Kleinmädchen-Fantasie, in der in Kreisen zur Fluchabwehr angeordnete Aschehaufen schon ziemlich das Schlimmste sind, was sie sich vorstellen kann. Ihr 43-jähriger Held hat einen Bildungshorizont, der sich in einem peinlichen Ausruf wie "Sartre hatte Recht, die Hölle, das sind die Anderen" erschöpft, und die fiktiven Filme Cordovas, die sie beschreibt, klingen mehr nach Russ Meyer als nach Dario Argento.

Im wesentlichen krankt der Roman an seiner Konstruktion. Nachdem zu Anfang der Selbstmord der Cordova-Tochter die Handlung in Gang setzte, folgt gut 400 Seiten nichts weiter als ein Haufen Interviews und Gespräche mit vielen kleinen scheußlichen Details über Leben und Treiben des großen Cordova. Höhepunkt darin ist ein langes Gespräch mit Cordovas Ex-Frau, die in einer Marlene-Dietrich-ähnlichen Zurückgezogenheit nur noch im Dunkeln lebt.

Nachdem der Roman uns mit mäßigem Schrecken immer weiter in die Abgründe von Teufelskult, Kinderopfer und Puppenvoodoo geführt hat, ist sein sympathischster Zug sein rationales Ende. Auf nur wenigen Seiten liefert eine der gesuchten Figuren eine vollkommen logische Erklärung für jeden knirschenden Wandschrank und alle bösen Blicke. Ohne den Dokumenten-Killefit und auf 300 Seiten ausgebreitet, wäre das ein netter, mäßig gut geschriebener aber recht kluger Spaß gewesen. So erinnert das an einen mit viel Getöse stundenlang aufgeblasenen Heißluftballon für einen Interkontinentalflug, der nach 100 Metern hinterm nächsten Getränkemarkt wieder runterkommt; die Vergleiche in diesem Roman sind übrigens von genau dieser Qualität.

Alex Coutts

Marisha Pessl: Die amerikanische Nacht. Aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler. S. Fischer, 790 S., mit zahlr. Abb., 22,99