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Killer-Clicks

Rechnergestützte Serien-Täter boomen

Serienkiller haben ein Psychogramm, das Serien-Leser auswendig können: Anfang 30, männlich, eingebildet. Serien-Opfer sind fast immer Frauen. Und Serien-Killer-Romane sind seit einiger Zeit fast alle gleich geschrieben, von Männern Anfang 40, die jetzt unbedingt auch mal mit ihren späterworbenen Computer-Kenntnissen - und sexueller Extrem-Toleranz - angeben müssen.
Jürgen Kehrer zum Beispiel. Nach 18 (teils historisch angehauchten) Lokalkrimis spielt Vorbildliche Morde plötzlich in der nahen Zukunft. Und rund um eine geschlechtsumgewandelte Serien-Täter-Ermittlerin. Und mit dem Täter, der, typisch für den Sub-Genre-Standard heute, mit persönlichen Bemerkungen die Handlung unterbricht ("hatte heute Cyber-Sex mit Marilyn") - und sein Geständnis per Email in den Polzeicomputer hackt. Derweil der ihm, weiblich bedient, durch Internet-Recherche auf die Schliche kommt: er stellt alte Morde nach.
Bei Philip Kerr ist's sehr viel elaborierter: die Ermittlerin in Das Wittgenstein-Programm beweist statistisch erstmal, dass der weibliche Blick die Aufklärungschancen steigert. Dann killt jemand entlang einer Datenbank, welche genetisch aggressiv prädisponierte Menschen speichert. Unter Pseudonymen aus der Geistes-Geschichte. Das near-future-setting (2013) kriegte 1995 den Deutschen Krimi-Preis - und ist auch in der neuen Taschenbuch-Ausgabe der immer noch uneingeholte Standard für New-Tech-Crime-Mystery mit sauber recherchiertem Hintergrund. Klassisches Name-Dropping (einer heisst DeQuincey), moderne Medien-Kritik ("das Nachahmen von Morden als Unterhaltung") - und ausführliche Debatten über Menschenbild und Datenschutz ergeben einen spannenden, philosophischen Roman.
Ganz anders Der 8. Tag. Bei David Ambrose ist wieder eine Frau die Heldin, wieder rechtfertigt sich der Mörder, der seine Opfer im WWW aussucht, in subjektiven Einschüben - und dann übernimmt das KI-Programm der Zentral-Wissenschaftlerin langsam die Kontrolle: steuert den Psycho-Killer, verfolgt seine Schöpferin ... und wenn der Autor (oder der Übersetzer) nicht so einen grausam holprigen Text hinschmierten, wäre es die moderne Version des alten Colossus-Plots: unsere Computer übernehmen den Laden. Weil sie von uns die unmoralische Zweck-Mittel-Denke lernten. Statt etwas Stil.
Ganz schlimm dann Greg Iles' @eros. Anfangs. Im Intro fummelt wer an einer Frau herum, bis das Blut kommt - im ersten Kapitel ruft ein verwirrter System-Operator die Polizei: ein paar Online-Aliase seines Sex-Chats seien verschwunden, und eine käme gerade im TV als Serien-Opfer vor. Ob da ein Zusammenhang...? Prompt erscheint er als Zusammenhang und muss sich an die Aufklärung machen. Die führt in die Abgründe der amerikanischen Seele, berührt Rassenfragen, Familien-Bande, Macht-Arrangements ... und läuft fast immer über abgehörte Chats, vertauschte User-Kennungen ... alles sehr webbisch, netlike. Aber auch 700 Seiten dick - und man braucht ein paar Reboots, um über den "ey, ich scheiss' auf Tabus"-Anfang hinwegzukommen.
Maria H.
Jürgen Kehrer: Vorbildliche Morde grafit, Dortmund 1999, 191 S., DM 14.80 (Tb Nr. 226)
Philip Kerr: Das Wittgenstein-Programm deutsch von Peter Weber-Schäfer, Rowohlt, Reinbek 1999, 411 S., DM 14.90 (Tb Nr. 43342)
David Ambrose: Der 8. Tag aus dem Englischen von Werner Wolf. Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 1999, 445 S., DM 14.90 (Tb Nr. 12988)
Greg Iles: @E.R.O.S aus dem Amerikanischen von Uwe Anton. Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 1999, 686 S., DM 16.90 (Tb Nr. 14235)