GLÜCK

Der Gott der kleinen Dinge

Martin Pages satirischer Debutroman über den Fluch der Intelligenz

Das ist mal ein Held: Antoine sitzt in Paris und ist unglücklich. Antoine denkt zu viel. Beim Einkaufen achtet er darauf, keine in Kinderarbeit erstellen Produkte zu erwerben. Wenn er sich mit seinen Freunden trifft, reden sie über die Probleme der Welt und der Existenz. Antoine sagt über sich selbst: "Ich hab den Schwarzen Gürtel in Ontologie".
Antoine wäre gern ein Idiot. Idioten sind glücklich, können nachts gut schlafen und leben länger: "Sehen wir uns die Natur an: Alles, was betagt und glücklich dahinlebt, ist nicht sehr intelligent. Schildkröten leben jahrhundertelang, das Wasser ist unsterblich, und Milton Friedman gibt es noch immer." Antoine möchte die Krankheit namens Intelligenz gerne loswerden: "Ein chinesisches Sprichwort besagt in etwa, daß ein Fisch niemals weiß, wann er pinkelt. Das ist eins zu eins auf die Intellektuellen übertragbar."
Martin Pages Antoine oder die Idiotie ist ein Ideen-Roman reinster Güte. Eher anekdotisch verknüpft wird Antoines Geschichte benutzt, um ein großes Leiden am Verstand zu formulieren. Tatsächlich schreibt Page sehr witzig über den Fluch, ein Hirn zu haben. Seinem Held Antoine stellt er eher schemenhaft ein paar Freunde zur Seite, die allesamt seltsam, aber nicht dumm sind. Einer leuchtet im Dunkeln, weil er als Baby zu viel phosphorhaltige Nahrung bekam. Eine ist Lesbe, will aber unbedingt ein Kind, einer ist Antoines Schachpartner. Alle beobachten skeptisch Antoines Versuch, sich in einen Idioten zu verwandeln, um endlich glücklich sein zu können.
Antoine läßt sich Antidepressiva verschreiben. Antoine wird Börsenmakler. Antoine taucht ein in die Welt der Reichen, Schönen, Rücksichtslosen, hat plötzlich Freunde, die "jederzeit bereit wären, ihm nicht zu Hilfe zu eilen". Antoine ist endlich blöd - aber glücklich?
Die Auflösung ist etwas schwach geraten. Page stellt am Ende den Verstand in die Bereitschaftsecke (wenn du am Strand bist, zähle nicht die Sandkörner, sondern knie nieder oder gehe spazieren) und rät, sowohl Sonnenuntergänge zu genießen als auch keine Nike-Turnschuhe zu kaufen. Der Handlungsfaden ist ihm da aber etwas aus der Hand gefallen. Oder ist es Ironie, wenn der Held mal wieder von einer Frau gerettet werden muß, die ein bißchen durchgeknallt wirkt?
Die Handlung ist hier in etwa so unwichtig wie in Kästners Fabian. Pages Antoine oder die Idiotie ist, schon quantitativ, vorwiegend ein Essay über das Problem, diese Welt verstehen und in ihr glücklich sein zu können. Und soweit das Buch darum kreist, ist es ungemein klug und komisch. Ein Kapitel endet so: "'Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben, aber mit den Dimensionen, dem Umfang und dem Gewicht einer Baguette kann man die goldene Zahl errechnen. Das ist ganz zweifellos kein Zufall'. Der Bäcker nickte zustimmend um gab ihm ein Vollkornbrot."
Thomas Friedrich
Martin Page: Antoine oder die Idiotie. Aus dem Französischen von Moshe Kahn. Wagenbach, Berlin 2002, 139 S., 16,50 EU